Klimakatastrophe - sich festkleben  oder weitergehen?


Fast jeden Tag erreichen uns Nachrichten, dass sich junge Leute, die sich als „die letzte Genration bezeichnen, auf wichtigen Straßen festkleben, den Verkehr blockieren, um auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Sie möchten eine absolute Wende  der Politik , noch mehr in der Einstellung und in den Gewohnheiten des Alltags bewirken, sogar erzwingen. Stattdessen erreichen sie Unverständnis, Ärger, Strafanzeigen, sogar Gefängnis, aber auch Bewunderung und sogar einen Preis für Zivilcourage. Die Diskussionen sind sehr angespannt, die Meinungen gehen weit auseinander. Von der Kirche gibt es durchaus sehr begründete amtliche Schreiben, aber abeer sie dringen nicht in die Öffentlichkeit.  Es fehlt die Leidenschaft der "letzten Generation". Es gibt einzelne Stimmen aus der Reihe der Theologen, welche den Einsatz für gut und wichtig halten, sogar einen aus dem Orden der Jesuiten,1) der selbst bei den Aktionen mitmacht, aber dabei  wenig Verständnis erntet. Man sollte bedenken: eine freiwillige  Änderung in den wichtigsten Bereichen unseres Lebens, in den Essgewohneiten, in der Freizeit oder sogar in der Wahl des Berufes ist äußerst schwer zu erreichen. Es braucht eine Motivation, welche das Innerste der Existenz berührt oder aufwühlt.Wie kommen wir dahin, dass sich Einstellungen d.h.unsere Vorlieben,  tragende Ansichten, von innen, d.h, von selbst, ohne heroische Willensakte zum Besseren, Vernünftigen, Tragfähigen wandeln? Normalerweise folgt man den Informationen von Tatsachen  aufgrund der Autorität der Wissenschaft und der Glaubwürdigkeit der Medien, die sie vermitteln.Aber es ist sehr unterschiedlich, wie Informationen ausgewählt, wie sie bewertet und welche Konsequenzen gezogen werden. Hier ist das Organ der Wahrnehmung entscheidend, jeder hat sein eigenes, das hoch emotional aufgeladen ist.So ist es üblich, dass man sich nur von den Nachrichten betreffen lässt, welche die eigene  Meinung bestätigen. Gibt es auch ein Betreffen lassen, das über den bisherigen Rahmen des Denkens hinausgeht und eine ganz neue Weise des Denkens, Erlebens und Handeln herbeiführt. 

                          Das Reich Gottes auch für das Klima 
„Kann die Kirche Klima?" lautet eine Frage in den sozialen Medien. Ist die Botschaft vom Reich Gottes auch für das Klima zuständig? Genügt es, einige lobende Worte für das Engagement der Klimakleber zu äußern oder müsste man , wenn man die Gefahr ernst nimmt, sich selbst dazu setzen? In den Schriften des Neuen Testaments ist sehr viel vom Einsatz für die Armen aber  kaum die sorge um die Schöpfung die Rede. Und doch kann man Wesentliches entdecken, wenn man denen nachgeht, deren Denk- und Erlebnisweise betrachtet, die Jesus und seine Botschaft am ehesten verstanden und auch verwirklicht haben. Es sind die, welche  in der Kirche als Heilige verehrt werden. Als überzeugende Gestalt für die Bewahrung der Schöpfung gilt Franziskus von Assisi (1181-1226). Der authentischste Ausdruck seiner Persönlichkeit ist der bekannte Sonnengesang.

Der Sonnengesang- 

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne,
welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
Von dir, Höchster, ein Sinnbild.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet,
klar und kostbar und schön.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken
und heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.
Gelobt seist du, mein Herr,
durch unseren Bruder, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.
Lobt und preist meinen Herrn
und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.

Das vom Heiligen verfasste Lied spiegelt einen Menschen, der Gott, den Geschöpfen und den Menschen zugleich nahe ist. Er nennt die Sonne Schwester, weil er Gott in sich wie eine Sonne spürt. Sie leuchtet aus ihm selbst. Ein Mensch, welcher die Sterne, das Feuer und selbst einen Wurm als Bruder, als Schwester, die Erde als seine Mutter sieht, dem ist die Natur Heimat, sogar wie eine Familie. Der Tod hat für Franziskus seinen Schrecken verloren. Als er die Voraussage seines Endes hört, kann er sagen: „Willkommen Bruder Tod!". Damit ist auch die Angst vor der Zukunft geschwunden. Gerade die Angst bewirkt, dass man der Realität ausweicht.  Hingegen würde eine Einstellung, welche die Angst nicht mehr kennt, wie sie aus dem Sonnengesang spricht, ein sehr positiver Ansatz für eine Lösung sein. Das würde unter anderem bedeuten, dass bei allen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und bei allem Forscherdrang Eingriffe in die Natur mit den unabsehbaren Folgen nicht mehr zulässt., sondern alle Energie darauf zu verwenden, in Harmonie mit ihr leben.

Die von Franziskus gelebte vollkommene Armut würde  unsere  Lebensweise total verändern. Aber kann das die Lösung sein? Zwar werden die hohen Ideale gerühmt und zur Nachahmung empfohlen, aber die Aufrufe greifen nicht. Denn zu hohe Forderungen schrecken ab, weil ein Verzicht auf alles, was das Leben angenehm macht, nicht durchzuführen ist, vielleicht noch in der ersten Begeisterung, aber nicht in der Länge des Lebens. Woher soll die Freude kommen, die wir für ein gesundes Dasein brauchen? Auch frei gewählte Armut kann Verkümmerung auf allen Gebieten bedeuten. Das Anliegen des Stifters in die heutige Zeit zu übersetzen ist das Problem der Orden, die sich auf Franziskus berufen. Wenn sie ein Kloster nach dem andern schließen müssen, wird das gewöhnlich dem säkularisierten Zeitgeist zugeschoben. Eher ist zu vermuten, dass sie die Kraft des Ursprungs verloren haben und ihnen die Umsetzung nicht gelungen ist.
Verzicht und ein einziger Jubel!
Der tiefere Grund dafür ist darin zu sehen, dass in der Nachfolge des Heiligen eher der Verzicht erscheint als der existentielle Gewinn.
Auch die berechtigten Maßnahmen  zur Erhaltung der Schöpfung werden nur als Einschränkung der Lebensqualität wahrgenommen. Dabei ist die Selbstverleugnung, für die sich Franziskus entschied, nur die eine Seite seines geglückten Lebens. Die andere ist vielmehr ein einziger Jubel, der ihn erst zum Verzicht veranlasst. Am Anfang seiner neuen Lebensweise stehen Erfahrungen, die für ihn so gewaltig, kostbar und schön sind, dass sie ihn aus der Bahn werfen. Er spricht von „Süße", die ihn immer weiter lockt. Damit ist ein Erleben gemeint, wofür es in unserer Sprache keine Begriffe gibt. Es hat ihm die Sprache verschlagen.  Er konnte keine Hand mehr rühren und keinen Schritt mehr tun, keine Bewegung mehr machen, "selbst wenn man ihn  in Stücke geschnitten hätte".Es ereignete sich  eine Dichte der Existenz, in welcher die alten Bedürfnisse, Ideen,  Denkweisen und Interessen als belanglos verschwanden. Das Wort Selbstverwirklichung trifft in vollem Umfang auf ihn zu, aber in einem ganz anderen Sinn, als es gemeinhin verstanden wird. Seine bewunderte Größe und die Wirkung auf seine Zeit wurden möglich, weil sichder Kern seines Wesens  entfaltet hat. In ihm dürfen wir das Wirken einer transzendenten Instanz erkennen, die der  Tiefenpsycholge C.G.Jung das "Selbst" , den Archetyp des Gottesbildes oder Gefäß der  göttlichen Gnade  nennt. Es ist die  zentrale ordenende Kraft, die alle anderen Grundströmungen einbindet. Es ist nicht nur die Mitte der eigenen Existenz, es ist auch die Mitte der Welt, welche in der Lebensbeschreibung des Heiligen  das Geheimnis der Dinge genannt wird

Aus dem Mangel oder aus der Fülle?

Wenn dagegen die Änderung der Interessen und Gewohnheiten nur als ein  Verzicht erscheint, dann wird verständlich, dass das große Beispiel kaum ein Echo findet.Viel zu wenig wird der Gewinn herausgestellt, der den Verzicht erst möglich und sinnvoll macht. Es ist ein Unterschied, ob wir aus Mangel oder aus der Fülle auf etwas verzichten, ob wir etwas weggeben, weil wir es nicht mehr brauchen oder ob wir unter dem Verlust leiden und verkümmern. Die fast fanatisch vertretene Armut des Heiligen ist nur zu begreifen aus seinem inneren Reichtum. Dieser gründet auf Innenerfahrungen, die den heute Lebenden unwirklich oder unerreichbar vorkommen und deshalb auch nicht in ihrer Bedeutung erkannt und angestrebt werden.
Die Umkehr des Ehrgeizigen
Die „Umkehr" des Heiligen beginnt, als er von einem beabsichtigten Kriegszug ganz wörtlich umkehrt. In einem Traum ging ihm auf, wem er eigentlich nachläuft: nicht einem edlen Herrn, sondern einem Knecht. Das machte ihn nachdenklich. Er kommt ins Zweifeln. Es dreht sich in ihm etwas um. Der ehrgeizige Plan, als Herr auf einer Burg zu residieren, war erloschen. Ihm wurde bewusst: die hohen Ziele, die er außen anstrebte, muss er innen suchen. Ganz in sich gekehrt zog er nach Assisi zurück „im überwallenden Glück und stillem Jubel, gewärtig des Herrn Willen, der ihm dies offenbart hatte" . So begann  in aller Stille die Wende seines Lebens. Nachdem ihm dies klar geworden war, waren die weiteren Schritte keine Taten heroischer Selbstüberwindung, sondern die innere psycho-logische Konsequenz, die er wegen des „überwallenden Glücks und des stillen Jubels" gerne auf sich nahm.
Die hohen Ideale scheitern dann, wenn sie dem bloßen Willen aufgebürdet werden und damit überdimensionale Kraftanstrengung fordern. Völlig übersehen wird dabei der Erlebnisprozess, der den Heiligen zu den gemacht hat, als den wir ihn bewundern. Wenn wir ihm nahekommen wollen, dann gilt es, alle Aufmerksamkeit auf die Entwicklungsmöglichkeiten, die in uns selbst ruhen, zu richten. Diese sind auch für uns überdimensional, wenn wir den göttlichen Funken in uns entdecken. Dazu hilft, dass wir in uns hineinhorchen, achtsam und sogar neugierig sind für das, was in uns vorgeht, dass wir das Wirken der Träume erkunden, für neue Impulse wach werden und Interesse für neue spirituelle Wege aufkommen lassen.
- statt kleben bleiben - weiter gehen
Zeugnisse aus unserer Zeit findet man in der  Festschrift für  Graf Dürckheim zum 70.Geburtstag. Man kann dort lesen, dass Transzendenz, das im Grunde Gott meint, nicht einen mysteriösen Glauben an nicht Sichtbares und Beweisbares bedeutet, sondern eine Realität, die wie die Liebe erfahren werden kann und  Menschen wandelt gerade ihre Einstellungen im Hinblick auf die Probleme der Zeit. Eine dieser Berichte lautet: "Als habe sich mein Atem ganz auf das Innere meines eigentlichen Wesens konzentriert, und als sei ich leer und und zerbrochen und über meine körperlichen und geistigen Grenzen hinweg getragen, fühle ich hier die Transzendenz als eine Realität, als eine Präsenz, eine Kraft und ein Licht.(2)

Die andere Priorität

Wer sich darauf einlässt, wird für seinen Lebensstil andere Prioritäten setzen. Es muss nicht mehr die höhere Stufenleiter der Karriere sein, nicht mehr das gesteigerte Einkommen, nicht mehr der Urlaub auf einer fernen Insel. Wer immer eine Dichte seiner Existenz in sich trägt oder deren Anspruch spürt, lässt sich nicht vom Fernsehprogramm seine Zeit stehlen und andere für sich denken.
Man kann in Meditationshäusern oder auch in Klöstern Personen antreffen, die dort ihre kurz bemessene freie Zeit verbringen und innerlich bereichert weggehen. Der Aufenthalt und das Sitzen in der Stille lässt die andere Seite der Existenz tätig werden. Man wird von innen her anders. Ebenso seien die genannt, welche die mittelalterlichen Pilgerwege gehen und dabei ihren inneren Reichtum entdecken.
Franziskus kann als rettende Figur für die ernsten Probleme unserer Zeit betrachtet werden. Aber es genügt nicht, ihn zu bewundern und als leuchtendes Vorbild hinzustellen. Ebenso wenig können es die Anmahnungen von entsprechender Stelle oder Kommentare zu wirtschaftlichen und politischen Vorgängen leisten. Der Heilige aus Assisi steht dafür, dass im Kern des Menschen eine Kraft bereit liegt, welche die eingeschliffenen Gewohnheiten, Denkweisen und Bedürfnisse verändern kann. Alles hängt davon ab, ob der Zugang zum Zentrum gelingt.
Ob man sich aus christlicher Verantwortung auch festkleben sollte? Nach dem wie der große Heilige gefühlt und gehandelt hat, ist es hilfreicher, dass man weitergeht und zwar auf einem inneren Weg, damit eine innere Wandlung auf sich nimmt, welche die Gesinnung des Sonnengesangs ergibt.
Das beste Motiv
Das Lied ist nicht die Erfindung eines exzentrischen Dichters, auch nicht das Ergebnis von guten Vorsätzen oder der Befolgung der Gelübde. Es ist eine freie Schöpfung aus dem Seelengrund eines Mannes, der von Gott durchdrungen ist, das Resümee seines Lebens. Dahinter steht ein Werdeprozess, der auch anderen möglich ist. Der Eifer, den Heiligen nachzuahmen und seine Regel zu befolgen, führt noch nicht zu dem Ersehnten. Er kann auch zu einer Sackgasse werden. Es geht nicht, ohne dass man den ganz eigenen Weg sucht oder eher sich suchen lässt. Ein Berufungserlebnis, das einem den Weg weist, kann man nicht machen, aber sich dafür bereiten. Es beginnt damit, dass man sein Innerstes in der Tiefe zu erspüren versucht, indem man die Fragen zulässt: Was berührt mich, was bewegt mich, was ergreift mich am Tiefsten?
Daraus könnte ein Motiv werden, das lautet:

Ich möchte den Sonnengesang des heiligen Franziskus mit der Freude und Überzeugung singen können, mit der ihn der Heilige verfasst hat. Ich möchte so wie er Gott, den Menschen und den Geschöpfen nahe sein! Ich möchte frei sein von der Angst vor den Menschen und sogar vor dem Tod, vor allem möchte ich, dass die Liebe gelingt, ganzgleich welche Wege sie nimmt!"
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1)Weil die bayerische Staatsregierung mit Präventivhaft auf die Klima-Aktivisten reagiert, bekommen diese nun erneute Unterstützung des bekannten Priesters Jörg Alt.
,Henri Hartung in Transzendenz als Erfahrung hrgg.Maria Hippius Weilheim 1966/ S494