Traeume-die Retter der Kirche
I
Das Herz: die Quelle der Gefühle und der Träume
Träume kommen aus einem Bereich unserer Existenz, der uns nicht unmittelbar zugänglich ist, der in der Tiefenpsychologie „das Unbewusste", in der Hl. Schrift das „Herz" genannt wird.Für das Vorhandensein und die Wirkung des Unbewussten sprechen Erfahrungen des Alltags. Zwei Menschen können sich nicht absichtlich verlieben. Es muss ein Funke überspringen, der nicht absichtlich hervorgebracht werden kann.Es ist eine alte Weisheit, vor einer schwierigen Entscheidung sich zu sagen: Darüber muss ich erst einmal schlafen! Manches, was am Tage vorher noch unlösbar schien, sieht am nächsten Morgen anders aus. Mancher Ärger und manche Angst ist geschwunden. Wir können die Dinge gelassener betrachten. Man darf sogar sagen: Die Seele arbeitet bei Nacht. Die Träume sind, so gesehen, ein Blick in die Werkstatt der Seele, Botschafter und Bearbeiter eines Prozesses, der ähnlich der körperlichen Genesung und dem körperlichen Wachstums ohne unser Dazutun stattfindet. In diesem Vorgang wird der Rahmen unseres Erlebens, Denkens und Handelns, der seinen Sitz im Unbewussten hat, umgestaltet, sodass wir frisch und neu gestärkt erwachen und über Nacht zu neuen Einsichten kommen. Über diesen Rahmen können wir nicht verfügen, aber wir können über die Träume zu ihm Zugang finden und Einfluss nehmen, sodass sich unsere Gefühle, unsere Impulse und unser spontanes Reagieren wie von selbst verändern. In der Heilligen Schrift heißt das. „ Ich schenke ihnen ein anderes Herz und schenke ihnen einen neuen Geist"(Ez11, 19). Andere Worte dafür sind: tiefe Ergriffenheit, spontane, herzliche Zuwendung, eine wohltuende Atmosphäre, gegenseitiges Verstehen. Das Herz hat ohne Zweifel in der Verkündigung Jesu eine zentrale Bedeutung. An ihm entscheidet sich Glaube oder Unglaube. Jesus nimmt die Klage des Jesaia auf: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen. Ihr Herz aber ist weit von mir!"(Mt15,8).
Auf Gott bezogen- der religiöse Archetyp
Der Tiefenpsychologe C.G. Jung machte das Unbewusste, das heißt das Herz zum Inhalt seiner Forschung. Er erkennt auf Grund seiner Beobachtungen nicht wie Freud nur eine Triebdynamik, sondern eine Geistesdynamik. Nicht der Trieb ist verdrängt, sondern der Geist! Diese Diagnose dürfte für unsere Zeit eher zutreffen.
Er gesteht der religiösen Erfahrung Realität zu, sogar die höchste und dichteste. Dazu kann man folgende Sätze lesen: „ Wie das Auge der Sonne, so entspricht die Seele Gott.... aber auf alle Fälle muss die Seele eine Beziehungsmöglichkeit, das heißt eine Entsprechung zum Wesen Gottes in sich haben, sonst könnte ein Zusammenhang nie zustande kommen. Diese Entsprechung ist, psychologisch formuliert, der Archetyp des Gottesbildes.[1]. Als Archetyp bezeichnet Jung ein Grundmuster im Bereich des Unbewussten, das eigentätig als Motiv, Impuls und Gefühl wirkt. Er zitiert den Traum eines Patienten, der mit Religion nichts zu tun hatte, bis er folgendes träumte:
„Da spricht eine Stimme: „Was Du tust, ist gefährlich. Die Religion ist nicht die Steuer, die du bezahlen sollst, um das Bild der Frau entbehren zu können, denn dieses Bild ist unentbehrlich. Wehe denen, welche die Religion als Ersatz für eine andere Seite des Lebens der Seele gebrauchen; sie sind im Irrtum und werden verflucht sein. Kein Ersatz ist die Religion.......Aus der Fülle deines Lebens sollst du deine Religion gebären, nur dann wirst du selig sein.......und ich fühle , ein Feuer, das nicht gelöscht werden kann, ist ein heiliges Feuer" .[2]
Das „Bild der Frau" ist ein anderer Ausdruck für das Unbewusste des Mannes.
Der Traum hat den Patienten schwer beeindruckt. Er ist für ihn sogar ein bedeutsames Erlebnis, das seine Einstellung zum Leben tiefgreifend verändert hat. Religion aus der Mitte des Lebens und das heilige Feuer weisen darauf hin, dass es dabei um die Fülle des Lebens geht. Man darf sich fragen: Woher weiß das der Traum? Diese und ungezählte andere Beobachtungen veranlassten Jung zur Annahme einer eigentätigen, geistigen Quelle, die „auf Unendliches bezogen" ist. Sie ist es, welche Träume hervorbringt und diese sind wieder Wege zum Mittelpunkt des Herzens.
Träume der Rettung
In der Heiligen Schrift, liefern Träume entscheidende Weisungen. Der Pharao kann auf Grund seines Traumes von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen, und von den sieben fetten und sieben mageren Ähren sein Volk vor der Hungersnot retten.
(Gen40,1-36). Joseph hatte sie ihm gedeutet. Dieser schafft dadurch den Aufstieg vom Sklaven zum Herrscher. Er wendet durch kluge Voraussicht das Schicksal nicht nur Ägyptens, sondern das seiner Familie und seines Volkes. Dabei hatte er sein eigenes Geschick mit zwölf Jahren vorausgeträumt.(Gen3,75-11).
Noch mehr sollte Beachtung finden, welche Rolle die Träume beim Evangelisten Matthäus spielen. Joseph erfährt in einem Traum die Wahrheit über die
Schwangerschaft Marias und den Namen des Kindes (Mt 1,20 - 22).
Im Traum wird er vor Herodes gewarnt und erhält den Auftrag, nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13-15). Auf dieselbe Weise werden ihm die Rückkehr in die Heimat und der Aufenthalt in Nazareth aufgezeigt. Die entscheidenden Daten im Leben Jesu werden somit im Traum festgelegt: die Verbindung seiner Eltern, der Name, unter dem er bekannt, der Ort, nach dem er genannt wird, sogar die Rettung seines Lebens. Selbst wenn es aus der Sicht der historisch-kritischen Exegese erhebliche Zweifel an der Geschichtlichkeit der Erzählungen gibt, dürfte die hohe Wertschätzung der Träume, welche der Schriftsteller und damit das frühe Christentum ihnen beimessen, sicher sein. Die wichtigste Aussage: Jesus wird durch einen Traum gerettet! Warum nicht auch die Kirche! dürfen wir hinzufügen.
II Entscheidung durch die Träume
Der Traum des Papstes Innozenz III
Als der heilige Franziskus von Papst Innozenz III. die Anerkennung seines Ordens erbat, hatte dieser in der vorausgehenden Nacht folgenden Traum:
Die große Lateranbasilika, die Hofkirche des Papstes droht einzustürzen. Da kommt ein Mann und stützt mit seinen bloßen Schultern die wankenden Mauern, er ganz allein. Als Franziskus vor dem Papst erscheint, erkennt ihn dieser als den Mann, der die Kirche vor dem Einsturz bewahrt. Die Szene ist in der großen Franziskuskirche in Assisi dargestellt. Das Entscheidende ist dabei: Der Papst genehmigt seinen Orden und stellt damit die Weiche zur Rettung der Kirche. Im Unterschied zur Reformation konnte der Papst die neue Aufbruchsbewegung integrieren. Es war eine historische Entscheidung von einem Traum mitbestimmt.
Warum aber träumt der Papst vom drohenden Einsturz, wo doch damals die schönsten Kathedralen unter großer Teilnahme der Bevölkerung gebaut wurden, wo Ordensgründer und Mystiker die Länder überschwemmten? Träume haben nach Jung einen kompensatorischen Charakter.
Sie korrigieren die bewusste Einstellung, indem sie eine Wahrheit aufdecken, die im Gegensatz steht zu dem, was das Bewusstsein für gut und richtig erklärt und woran kaum einer denkt..
Papst Innozenz III war damals der mächtigste Mann Europas. Man veranstaltete Kreuzzüge nicht nur gegen die Moslems sondern auch gegen Leute im eigenen Land. So wurden die Katharer in Südfrankreich auf Befehl des Papstes grausam bis zur Vernichtung bekämpft. Die Machtentfaltung der Kirche hatte ihren Höhepunkt erreicht. Aber gerade darin liegen die große Schwäche und der Keim des Untergangs. Macht und Gewalt sind das Gegenteil von dem, was die Absicht Jesu ist.
Die Versuchungsgeschichte sagt uns, dass er klar auf äußere Macht verzichtet (Mt4,8), ebenso die Szene vor Pilatus „Mein Reich ist nicht von dieser Welt"(Joh18,36)..Seine Macht ist die Kraft des Geistes, die er seinen Jüngern verheißt (Apg.1,8),die mehr ist als ein Königreich, weil sie Menschen von Grund auf wandeln kann. Wer sich hingegen auf äußere Machtmittel stützt, hat die Kraft der Überzeugung verloren. Er vermag es nicht, den Menschen in absichtsloser Liebe zu begegnen. Damit ist er von der Sendung und Verheißung Jesu meilenweit entfernt. So ist denn auch die Kirche des Mittelalters, die solche Züge trug, nach 300 Jahre später eingestürzt.
Der Traum des Heiligen Franziskus
Bei der Begegnung von Papst Innozenz III und Franziskus könnten die Gegensätze nicht größer sein. Bei dessen Berufung spielt auch ein Traum eine entscheidende Rolle. Franziskus wollte sich einem Kriegszug anschließen, um Ritter zu werden und Herr auf einer Burg zu sein. Da hatte er folgenden Traum:
„Als er nämlich in jener Nacht schlief, erschien ihm jemand, rief ihn beim Namen und führte ihn in einen geräumigen und schönen Palast voll von Kriegswaffen, nämlich von glänzenden Schildern und sonstigem Kriegsgerät; alles hing an der Mauer und harrte des Kriegsruhms. Franziskus war außer sich vor Freude, bedachte in stiller Verwunderung, was das wohl bedeute, und fragte, wem diese von solchem Glanz blitzenden Waffen und der schöne Palast gehörten. Es wurde ihm zur Antwort gegeben, dies alles samt dem Palast gehöre ihm und seinen Rittern".
Zunächst fühlt er sich in seinem Entschluss bestätigt. Auf dem weiteren Weg wird ihm ebenfalls im Traum gesagt, er laufe irgendeinem Knecht nach statt einem Herrn zu dienen. Dies bringt ihn zum Nachdenken und zur Erkenntnis, dass er den Traum anders verstehen und nach Hause zurückkehren müsse. Es ist ein inneres Schloss und ein inneres Ziel, das ihm gehören wird. Von der Traumsymbolik her ist zu sagen: Der genannte Palast - in der symbolischen Bedeutung gleichzusetzen mit Schloss oder Burg - ist im Mittelalter zweifellos ein Symbol für die Ganzheit einer Lebensgemeinschaft wie für die Ganzheit der Seele. In der Funktion des Traumes ist er damit ein Bild für das höchste, erstrebenswerte, innere Ziel, für den edelsten erreichbaren Zustand, für die höchste menschliche und spirituelle Reife, - tiefenpsychologisch gesprochen- für den Archetyp der Ganzheit und des Gottesbildes.
welthistorische Entscheidungen
Die Bedeutung der Träume für die welthistorische Entwicklung sei noch einmal herausgestellt: Sie haben Franziskus auf den Weg gebracht und den Papst bewogen, ihn aufzunehmen, und damit die große Reformbewegung herbeigeführt.
Noch eine andere historische Entscheidung geht auf Träume, in diesem Fall auf Tagträume zurück, die des heiligen Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens. Tagträume, verstanden als gelenkte Fantasien haben sein Leben verändert. Auf seinem Krankenlager malt er sich die heroischen Taten Jesu, des hl. Franziskus und anderer Heiligen aus. Es ist ein beglückendes Gefühl, das anhält, , eine erhebende Stimmung, von hohen Zielen angezogen zu sein.
„ Er war auch froh und zufrieden, wenn er von diesen Gedanken abgelassen hatte", so steht es im Bericht des Pilgers. Ihm geht auf, dass man seine innere Befindlichkeit -den Sitz der Gefühle, das Herz- beeinflussen kann. Hier entdeckt er den Keim einer Neuorientierung. Es steigt in ihm etwas auf, das allmählich seine ganze innere Welt erfasst und seine Impulse und Strebungen, seine emotionale Gestimmtheit so nach und nach umpolt. In diesem Fall haben Tagträume das ganze Lebenskonzept verändert. Er hat deshalb die „Betrachtung" des Lebens Jesu in seinen Exerzitien aufgenommen. Sein Orden und seine von ihm begründeten Exerzitien haben in der Kirche am Beginn der Neuzeit die entscheidende Wende herbei geführt. Hier dürfen wir auch die Träume, auch wenn sie Tagträume waren, als Retter bezeichnen.
Träume: die unbekannte Chance
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Träumen ist die Chance, sich selbst zu erkennen und sich weiter zu entwickeln. Daraus ergeben sich bessere Beziehungen und ein Glaube, der reflektiert, vertieft und überzeugend ist.
Allein schon, wenn wir unsere Träume aufschreiben, wenden wir uns dem Unbewussten zu. Wir werden wach für das, was für unser Leben bedeutsam ist, und regen sinnstiftende und heilende Kräfte an. In uns wächst das Gespür für das, was zu uns passt, vor allem wer zu uns passt. Die sogenannte Weltanschauung -ganz gleich ob religiös oder säkularisiert- gründet sich nur scheinbar auf rationale Argumente. In Wirklichkeit ist sie wesentlich von emotionalen Faktoren abhängig, die eigentätig Denken und Verhalten bestimmen.
Um die Ergebnisse einer ernsthaften Arbeit mit Träumen zusammenzufassen: Es geschieht echte Veränderung. Das Religiöse kann erschlossen werden als Urerfahrung, welche den ganzen Menschen erfasst und erfüllt. Es ist die Antwort auf die Frage: Wie werden Menschen wieder religiös? Das Angebot ist für alle zugänglich, ob kirchlich oder konfessionslos, gläubig oder nicht. Für den kirchlichen Bereich könnte dies heißen: Man muss sich nicht mehr auf Aufrufe und Appelle stützen. Wir gewinnen die Kompetenz, Einfluss zu nehmen auf die geistigen Strömungen. Wir sind dann nicht mehr Zuschauer und Erleider, sondern Gestalter unserer Zeit.Wenn die Wandlung des Herzens das Grundanliegen Jesu ist, müsste die Arbeit am UNbewussten eine wesentliche Aufgabe der kirchlichen Seelsorge sein.
[1] C.G.Jung GWBd12,24
[2] C.G.Jung,GWBd11,38
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