Die dunkle Nacht der Seele


Wenn uns das Liebste genommen wird, wenn wir am Abgrund stehen, wenn dieser auf uns zukommt, dann wird es Nacht in der Seele. Ihre Reaktion ist das Trauern. Trauern ist nichts anderes, als dass wir die dunkle Seite der Seele zu Wort kommen lassen.
Ihre Sprache sind die Tränen und die Bilder in den Träumen.
Die Seele neu entdecken!
Der Psychiater und Psychologe C.G.Jung schildert eine Szene, in welcher er mit der Problematik und dem Denken unserer Zeit konfrontiert wird."                                                                                             "Die Türe ist offen, ich trete ein: Ich bin im Lesesaal einer großen Bibliothek. Im Hintergrund sitzt ein kleiner magerer Mann von blasser Gesichtsfarbe, offenbar der Bibliothekar. Die Atmosphäre ist beschwerend - gelehrte Ambitionen - Gelehr¬tendünkel - verletzte Gelehrteneitelkeit. Ich sehe außer dem Bib¬liothekar niemand. Ich trete zu ihm. Er blickt von seinem Buch auf und sagt: »Was wünschen Sie?« Ich: »Ich möchte »Thomas ä Kempis: Die Nachfolge Christi< haben.*1*8

Er sieht mich etwas erstaunt an, wie wenn er mir das nicht zugetraut hätte und legt mir einen Bestellzettel hin zur Eintragung. Ich denke auch, dass es erstaunlich sei, gerade den Thomas ä Kempis zu verlangen. Ich: »Wundert es Sie, dass ich gerade den Thomas verlange?«
»Haben Sie besondere theologische oder philosophische Interessen, oder -«
»Sie meinen wohl - ob ich es zur Andacht lesen wolle?«
»Nun, Letzteres wohl kaum.«
»Wenn ich Thomas ä Kempis lese, so geschieht dies eher zum Zwecke der Andacht oder etwas dem Ähnlichen als aus wissenschaftlichem Interesse.«
»Ja sind Sie denn so religiös? Das wusste ich gar nicht.«
»Sie wissen, dass ich die Wissenschaft außerordentlich hoch schätze, aber es gibt wahrhaftig Augenblicke im Leben, wo auch die Wissenschaft uns leer und krank lässt. In solchen Momenten bedeutet ein Buch wie das des Thomas mir sehr viel, denn es ist aus der Seele geschrieben.«
»Aber etwas sehr altmodisch. Wir können uns doch heutzutage nicht mehr auf christliche Dogmatik einlassen.«                                                                                                                                                      »Mil. dem Christentum sind wir nicht ans Ende gekommen, wenn wir es einfach weglegen. Es scheint mir, als sei mehr daran, als wir sehen,«                                                                                                       »Was soll denn daran sein? Es ist bloß eine Religion.« /                                                                                                                                                                                                                                          .. Der Mangel an Wirklichkeitssinn in den Religionen halte ich z. B. direkt für einen Schaden. Übrigens ist jetzt auch reichlich Ersatz geschaffen für den durch den Zerfall der Religion herbeigeführten Verlust an Gelegenheit zur Andacht. Nietzsche hat Z. B. mehr als ein wahrhaftes Andachtsbuch geschrieben, vom Faust nicht zu reden.«

»Das ist in einem gewissen Sinne richtig. Aber besonders Nietz¬sches Wahrheit ist mir zu unruhig und aufreizend - gut für solche, die noch zu befreien sind. Aber darum ist seine Wahrheit auch nur für solche gut. Wie ich in letzter Zeit glaube entdeckt zu haben, bedürfen wir aber auch einer Wahrheit für solche, die in die Enge zu gehen haben. Für solche ist eine depressive Wahrheit, welche den Menschen verkleinert und verinnerlicht, vielleicht mehr vonnöten.«
»Aber ich bitte, Nietzsche verinnerlicht doch den Menschen ganz außerordentlich:«
»Vielleicht haben 'Sie von Ihrem Standpunkt aus recht, aber ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass Nietzsche durch sich selber zu denen spricht, denen mehr Freiheit nottäte, nicht aber zu denen, die hart mit dem Leben zusammengestoßen sind und aus Wunden bluten, die sie sich an den Dingen der Wirklichkeit geholt haben.«
»Aber auch solchen Menschen gibt Nietzsche ein kostbares Gefühl der Überlegenheit.«
»Ich kann das nicht bestreiten. Aber ich kenne Menschen, die nicht der Überlegenheit, sondern der Unterlegenheit bedürfen.«
»Sie drücken sich seht paradox aus. Ich verstehe Sie nicht. Unterlegenheit dürfte doch wohl kaum ein Desideratum sein.«
»Vielleicht verstehen Sie mich besser, wenn ich statt Unterlegenheit Ergebung sage, ein Wort, das man früher viel, neuerdings aber selten hört.«
»Es klingt auch sehr christlich.«
»Wie gesagt, am Christentum scheint allerhand zu sein, was man vielleicht noch mitnehmen sollte.".

Die Frage, die aus dem Gespräch Jungs mit dem Bibliothekar, bleibt: Geht es  nur um mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, um die helle Seite der Existenz? Was ist mit der dunklen Seite, wenn einen  das Leben hart mitgenommen hat, wenn man  Zuwendung braucht, wenn man sich  dem Schicksal ergeben muss. Die andere Seite heißt, Verlust, Schmerz, sich einschränken, verzichten, sich zurücknehmen,  schauen, was innen ist. Diese Seite des Lebens zu bewältigen, darf man trauern nennnen.Für diese Seite waren immer die Religionen zuständig, Seelenführer, Mystiker, heute sind es Psychotherapeuten.

Die Dunkelheit der Seele
Wann ist die Seele verdunkelt?
Man sieht es an den Gesichtern: es gibt helle, strahlende, und es gibt bedrückte, dunkle Gesichter. Es sind vor allem die Augen, welche den Zustand der Seele ausdrücken.

1. Die Dunkelheit des Todes
Dunkle Nacht kann heißen: Ich habe einen Menschen verloren, der mir sehr viele bedeutet hat, der ein Teil meines Lebens war... Es ist eine Leere, die Lebensfreude ist geschwunden. Das Leid nimmt einen total in Anspruch., Tag und Nacht.. Man muss ständig daran denken. Es ist niemand mehr da, der sich freut , wenn ich heimkomme, es ist niemand mehr da, den ich fragen könnte, wie man die Dinge macht. Man kann nicht mehr so mitmachen bei Veranstaltungen, bei Festlichkeiten oder gar Vergnügen, weil die innere Stimmung nicht passt. Manche Leute gehen einem aus dem Weg, auf die andere Straßenseite, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollten. Es bedeutet ein Stücke Isolierung oder auch seelischer Quarantäne.
Früher hat man auch eine Trauerkleidung angezogen, die dunkel ist, um die Dunkelheit der Seele auszudrücken, wie es um einen steht, und auch um die Erlaubnis zu bekommen, traurig zu sein.. Wie der Körper braucht auch die Seele den Rückzug und die Zeit zur Heilung.Sie zieht sich nach innen zurück, um die Heilungskräfte anzuregen. Es ist wichtig, dass man trauern darf, dass man bei einer Trauerfeier, bei einer Beerdigung weinen darf. Hinter einer Depression steckt oft eine nicht zugelassene Trauer.
2. Die Dunkelheit der Depression.
.Es ist ein Zustand, der scheinbar ohne äußere Ursachen plötzlich über einen kommt. Ich denke an einen Mann, Mitte fünfzig, eine gute gelingende Ehe, drei erwachsene Kinder leitende Funktion beim Finanzamt, im Stadtrat, in der Kirche engagiert, , nach außen keine Probleme! Nach einer Augenoperation wird er die Angst nicht los, er würde blind. Sobald er aufwacht, schüttelt ihn die Angst und zwar so, dass er zittert und meint den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihm ist, als ob er in ein Zimmer mit vier Türen, die alle verschlossen sind, eingesperrt sei. Es ist ein Gefühl von Wertlosigkeit, als ob alles, was ich bisher geleistet habe, nichts wert sei, als ob ich niemand wäre, als ob ich wie in nichts aufgelöst . Diesen Zustand kann man nicht einfach abschütteln, auch nicht auf gute Ratschläge hin wie „Nimm es doch nicht so ernst. Du hast doch überhaupt keinen Grund traurig sein. Treibe Sport wie früher. Aber dazu sind ihm die Füße zu schwer. Alles kostet eine Riesenanstrengung. Genau das ist es, was er nicht kann. Statt zu sagen: „Ich habe eine Depression", ist es richtiger zu sagen: „Die Depression, der Komplex hat mich". Das hat den Vorteil, dass ich mir keine Vorwürfe zu machen brauche, dass ich eher Opfer bin als Täter. Diese Sicht kann entlasten.                                                                                                                                                                                                                                               3. Die Dunkelheit der Krise                                                                                                                                                                                                                                                                                         Es gibt auch Krisen, die nicht so schwerwiegend in Erscheinung treten, die aber doch ein Leben schwer beeinträchtigen. Es ist die Frage nach dem Sinn: dass man keine Lust mehr hat an der Arbeit, am Zusammensein, keine Lust mehr, in der Freizeit etwas zu unternehmen. „Was wird aber , wenn er nur allzu deutlich sieht, woran sein Patient krankt, dass er keine Liebe hat, sondern bloß Sexualität, keinen Glauben, weil ihn die Blindheit schreckt, keine Hoffnung, weil ihn Welt und Leben desillusioniert haben, und keine Erkenntnis, weil er seinen eigenen Sinn nicht erkannt hat( C.G.Jung Bd 11,359).
Spirituelle Krise                                                                                                                                                                Eine spirituelle Krise bedeutet, dass der spirituell-religiöse Teil der Seele mehr oder weniger heftig und plötzlich durchbricht und sich mit Macht Geltung verschafft. Die Betroffenen beschreiben diesen Durchbruch erstaunlich übereinstimmend als „Überschwemmung" und „Erschütterung". Nach Johannes vom Kreuz ist es die „dunkle Nacht der Seele", Wenn jemand z.B. überwältigende Visionen erlebt, verliert er die Kontrolle und hat Angst, verrückt zu werden. So hat es Jung selbst erfahren, als er den  1.Weltkrieg kommen sah.".
4. Die Diagnose des nahen Todes

Was ist, wenn einem nach der Untersuchung gesagt wird: Es sind schon Metastasen im ganzen Körper. Man kann den Tumor nicht mehr entfernen. Er wird weiter wachsen. Das heißt, Es wird Ernst! Wie damit umgehen? Verdunkelt sich das Leben oder kann es auch hell werden? Es braucht einen existentiellen Prozess, um die unausweichliche Tatsache annahmen. Die Ärztin Kübler - Ross beschreibt 5r Phasen dieses Prozesses: Nicht wahrhaben wollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Zustimmung.


Wie wird die Seele wieder hell? Wie komme ich aus dem Dunkel? .
Es braucht einen existentiellen Prozess, um die unausweichliche Tatsache anzunehmen. Die Ärztin Kübler - Ross beschreibt fünf Phasen dieses Prozesses: Bei jeder Trennung, Katastrophe lassen sich die Phasen ausmachen, die Kübler Ross zum Sterbevorgang beobachtet hat.
1. Nicht wahrhaben wollen...
2. Zorn gegen Partner, Ärzte, Verwandte
3. Verhandeln
4. Depression
5.Zustimmung

Das Leid , das die Seele öffnet

Das Leid wird zum Zugang zur Seele, weil es mich zwingt, mich mir selbst zuzuwenden. Man hat bisher alle Lösungen außen gesucht hat: die Verhältnisse wären schuld und die Menschen müssten sich ändern, vor allem der persönliche oder politische Gegner. Man macht Pläne, die fehlschlagen, bis man zu der niederschmetternden Einsicht kommt, dass es nicht mehr weiter geht in der Ehe oder im Beruf. Wenn das Problem einen ständig umtreibt, heißt das,: Jetzt muss ich mich mir selbst zuwenden. Ich kann die Verhältnisse nicht ändern, den Lebenspartner , die Arbeitsverhältnisse nicht, die Politik nicht, aber niemand kann mich daran hindern, mich selbst zu verändern. Ich muss mich voll und ganz um meinen inneren Zustand kümmern
Aufmerksamkeit, das Interesses wendet sich von außen nach innen.
Die gute Botschaft ist: Es sind Selbstheilungskräfte am Werk.
Änderung der geistigen Einstellung:                                                                                                                                                                                                                                                                      Wieviel Zeit verwende ich, um mich selbst zu spüren oder mich ständig von außen ablenken zu lassen?. Bei entsprechender Wachheit für das Richtige werden sich Dinge von selbst ordnen.Nach Jung ist die Psychoneurose ein Leiden der Seele, die ihren Sinn nicht gefunden hat.... Der Kranke sucht das, was ihn ergreift und der chaotischen Verworrenheit seiner Seele entreißt und sinnvolle Gestalt verleiht. Sinn kann man nicht machen, sondern er muss einen ergreifen.Sinn kann ich nicht machen, aber wählen.                                                                                                                                                              Im Klenze-Park in Ingolstadt ist ein Klein-Garten der französischen Stadt Grasse.Dort ist zu lesen: Donnez sense á essentiell". Es wurde übersetzt mit: Gib dem Wesentlichen Sinn! Es ist die falsche Übersetzung. Sondern es müsste heißen „Hab Sinn, hab ein Gespür für das Wesentliche!" Dann wirst du Sinn finden! Nur das Bedeutende erlöst. Sinn ereignet sich in der Erfahrung, ergriffen zu sein von einem Ereignis, von Musik, von einem Gottesdienst, vom Dasein miteinander, von der Liebe! Ergriffen sein bedeutet: Das Schweigen, die Stille ist erfüllt, sodass jedes Wort zu viel ist. Die alles übertönende Ablenkung, die dies nicht zulässt, ist einmal abgeschaltet. Deshalb die Übung der absoluten Stille, die im Zen geübt wird, ein wesentlicher Zugang zur Sinnerfahrung, die einen dann tagsüber begleitet, im Zusammensein, in der Arbeit und in der Freizeit. Genauso hilfreich ist das nichtdirektive Beratungsgespräch, wo es darum geht , den Hilfe-Suchenden zu verstehen, d.h. emotional nahe zu kommen. Die Gefühle sollen sich berühren. Es soll sich das Erleben ereignen, voll und ganz angenommen zu sein. Sehr häufig ist es mit Tränen verbunden aus tiefer Ergriffenheit. Die Stimmung kippt um.

Die Diagnose des nahen Todes: Ein wahre Geschichte.
Was ist, wenn einem gesagt wird: Die Metastasen sind schon auf den ganzen Körper verteilt? Wenn ich selbst betroffen bin, nicht mehr um andere trauere, sondern um mich selbt trauern muss..Es braucht Zeit und einen intensiven Prozess der Wandlung, bis man zur unausweichlichen Tatsachen auch innerlich Ja sagen kann und dabei nicht verbittert wird. Die Strebforscherin Kübler-Ross unterscheidet fünf Phasen dieses Prozesses: Nicht wahrhaben wollen, Zorn , Verhandeln, Depression, Zustimmung.
Mitte Juni 2021 war ich plötzlich mit der Tatsache konfrontiert: „O- das wird jetzt eine ernste Angelegenheit". Ich werde immer schweigsamer. Reflexhandlungen:
Ausräumen, meine persönlichen Sachen radikal reduzieren, möglichst geordnet hinterlassen, was noch von Bedeutung sein könnte.(u.a. zurechtlegen und mit Namen versehen, was ich wem weitergeben wollte) ... Vieles, was ich machte, geschah intuitiv, wie nebenbei/oder evtl. auch für „endgültig".
- Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt und wie alles verlaufen wird.
So viele Begegnungen in dieser langen Zeit: mit Ärzten , Pflegerinnen, vor allem mit den jeweilig ebenso Betroffenen im gemeinsamen Zimmer-
--All das hat mich verändert....
-Ich habe so viel Verständnis erlebt, wurde ernst genommen und meine Vorurteile als unberechtigt erkannt. Ich habe damals auch viel zum Thema „Tod" gelesen, lebenslang Gesammeltes wieder; entdeckt, spirituelle Artikel, Seminar-Notizen, Bücher--- einige von Graf Dürckheim..z.B.)
Vieles davon eröffnete sich erst jetzt- aus dem konkreten Anlass heraus.
Ich habe auch viel meditiert
(im Gehen in den Gängen der Klinik, mit meinen inneren Formeln im Rhythmus des tiefen, ruhigen Atmens).
Relativ bald war mir klar: gegen die Krankheit „kämpfen"(was mir oft gesagt wurde)-nein, das wollte ich nicht..
Was mir vorschwebte-
„anfreunden" damit wäre zwar übertrieben ausgedrückt- aber etwa in dieser Richtung soll `gehen.
Also: Zustimmung finden zu dem, was jeweils ist....
Und allem „Neuen „sogar mit einem gewissen Interesse zu begegnen.
Ja , es war wirklich so.. Ich wurde immer ruhiger), gelassener, ..und das ist nicht mein „Verdienst"(manche sprachen ihre Bewunderung aus deswegen) Ich empfinde es als großes Geschenk, vielleicht „Gnade", dass es so wurde, wie `s wurde. Vor allem wollte ich nicht bedauert werden..
Dass ich mich gegen nichts innerlich auflehnte, half wahrscheinlich, Energie zu sparen. Ein neues Neues Lebensgefühl ist aufgewacht. Ich habe keine Angst, sondern mehr und mehr das Gefühl:
Ich bin in guten Händen---
Es geschieht das Richtige..

 

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