HEILIGE WOCHE - KARWOCHE - PALMSONNTAG  C
FEIER DES EINZUGS JESU IN JERUSALEM


Die liturgischen Texte zum Tag sind zu finden unter: www.erzabtei-beuron.de/schott/
 
Evangelium Lk 19, 28 - 40

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
28 ging Jesus nach Jerusalem hinauf.
29 Als er in die Nähe von Betfage und Betanien kam, an den Berg, der Ölberg heißt, schickte er zwei seiner Jünger voraus
30 und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt. Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her!
31 Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr ihn los?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn.
32 Die beiden machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte.
33 Als sie den jungen Esel losbanden, sagten die Leute, denen er gehörte: Warum bindet ihr den Esel los?
34 Sie antworteten: Der Herr braucht ihn.
35 Dann führten sie ihn zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und halfen Jesus hinauf.
36 Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf der Straße aus.
37 Als er an die Stelle kam, wo der Weg vom Ölberg hinabführt, begannen alle Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Wundertaten, die sie erlebt hatten.
38 Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe!
39 Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, bring deine Jünger zum Schweigen!
40 Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.


Jerusalem - die Stadt der Sehnsucht

In Jerusalem einziehen - das ist mehr als das Ende einer Wallfahrt, mehr als ein  liturgischer Brauch, mehr als eine interessante Tourismusattraktion. Mit dem Namen der Stadt sind Sehnsucht und Erwartungen, Katastrophen und Tränen, maßloses Leid und ungebrochene Hoffnung verbunden. Die Stadt hat eine lange, abgründige Geschichte. Sie wurde des Öfteren erobert, bis auf die Grundmauern niedergebrannt und immer wieder aufgebaut. Wir dürfen an das Heimweh derer denken, denen diese Stadt genommen wurde.
Wir kennen den Psalm 137 „An den Flüssen von Babylon saßen wir und weinten, als wir dein gedachten, Zion“. Da stehen die Sätze: „Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, soll meine rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe“. Es ist nicht nur der Schmerz der Verbannten in Babylon im sechsten Jahrhundert vor Christus, es ist der Schmerzensschrei der Israeliten aller Jahrtausende bis in die Todeskammern von Auschwitz. Heimat, Sicherheit, Geborgenheit, aber auch nationaler Stolz schwingen mit, wenn der Name dieser Stadt gedacht, ausgesprochen oder gesungen wird. Es war der König David, der sie um das Jahr 1000 vor Christus zum Sitz seines Reiches machte. Er schuf eine ansehnliche Macht, die alle Stämme einte und keinem fremden Herrscher tributpflichtig war. Das Reich Davids, das schon nach kurzer Zeit zerfiel, wurde so zum Mythos. Er wurde lebendig, als der Ruf „Hosanna dem Sohn Davids“ (Mt 21,9) erscholl. Jesus betritt damit den Boden einer Stadt, der aufgeladen ist nicht nur mit einer ruhmreichen und Blut getränkten Geschichte, sondern noch mehr mit Erwartungen von einer besseren Zeit, von einem Auserwählten, der in die Fußspuren Davids tritt, von einem König, der alles in Ordnung bringt, von Größe und Freiheit.

Diese Stimmung mag wohl das Volk erfasst haben, als Jesus erscheint. Es ist der Jubel einer großen Zukunft, in der alles gut wird. Man hofft auf die Erfüllung aller Verheißungen, die von den Propheten verkündet wurden.                                                                                       
Es hat den Anschein, dass sich Jesus von der Begeisterung der Menge tragen lässt. Er hat ja den feierlichen Einzug angeordnet. Wir dürfen annehmen, dass sich Jesus auf der Linie der großen Propheten sieht, aber anders, als eine leicht entzündbare Stimmung es vermuten lässt. Er, der Gott in der Stille der Berge Galiläas erfahren hat und ihn in der Tiefe seines Herzens spürt, weiß, dass leicht gewonnene Sympathien noch lange nicht das ausmachen, was Gott mit seinem Volk gemeint hat, der Gott, den er seinen Vater nennt. Er spürt, dass die großen Verheißungen nicht durch jubelnden Beifall erfüllt werden. Ihm ist vielmehr bewusst, dass noch ganz andere Mächte das Sagen haben. Er hat ein tieferes Wissen um die Wirklichkeit, die er bewältigen muss.

So taucht Jesus mit seinem Einzug nicht einfach blindlings in die große Welle der Euphorie ein, er betritt vielmehr den Schnittpunkt der Gegensätze, welche in die letzten Tiefen der Menschheit reichen. An Ort und Stelle sind es die Herrschaft der Römer und der Freiheitswille seines Volkes, die gegen einander stehen. Viel tiefgreifender ist allerdings der Gegensatz seiner unmittelbaren Gotteserfahrung und einer in Gesetzen und Vorschriften veräußerlichten und erstarrten Religion. Auf der einen Seite das überwältigende Ergriffensein, die Schönheit, Freude, Menschenfreundlichkeit, auf der anderen das Elend der Menschen in der Gottesferne!

Diesen Gegensatz hat Jesus in seinem Land angetroffen. Er ist aber überall, in jedem Land, zu allen Zeiten anzutreffen. Mit anderen Worten: Es geht um Wahrheit, Würde, Größe und Glück jedes Menschen in der Nähe Gottes gegen Angst, Einsamkeit, Verachtung, Erniedrigung, Vernichtung und Sinnlosigkeit. Jesus ist sich bewusst, so dürfen wir annehmen, dass diese Gegensätze nur gelöst werden, wenn er selbst durch sie hindurchgeht, wenn er sie an seinem eigenen Leib austrägt, wenn er Gottesferne und Gottesnähe in sich aushält, wenn er der Wucht der Geschichte in der Tiefe seines Wesens begegnet. Damit  tritt die große Wende ein. Maßloses Leid wird zur beglückenden Hoffnung. So wird in der Sicht der gläubigen Jünger  der Einzug vor dem Osterfest zum Bild für den Einzug in das himmlische Jerusalem.