30. Sonntag im Jahreskreis  A
Wer sich Gott zuwendet, wer ihn sucht, den wirklichen, lebendigen Gott, der hat ihn schon gefunden. Und er kann ihn nicht für sich behalten, er trägt ihn zu den Menschen; er ist fähig geworden, jeden Menschen zu lieben, weil er selbst geliebt wird. Die Christen der frühen Zeit waren arm, aber ihr Glaube hatte werbende Kraft, weil er als Liebe sichtbar wurde. Man zeigte auf die Christen und sagte: Seht wie sie einander lieben.
Eröffnungsvers
Vgl. Ps 105 (104), 3-4
Freuen sollen sich alle, die den Herrn suchen.
Sucht den Herrn und seine Macht, sucht sein Antlitz allezeit.
Ehre sei Gott
Tagesgebet
Allmächtiger, ewiger Gott,
mehre in uns den Glauben,
die Hoffnung und die Liebe.
Gib uns die Gnade,
zu lieben, was du gebietest,
damit wir erlangen, was du verheißen hast.
Darum bitten wir durch Jesus Christus.
Zur 1. Lesung In der Sinai-Erzählung sind zahlreiche Vorschriften und Rechtsbestimmungen eingefügt. Sie haben ihre Wurzel im Bundesverhältnis zwischen Gott und dem Volk Israel. Das Volk Gottes kann als solches nur bestehen, wenn es sich an diese Grundregeln hält. Die Vorschriften in der heutigen Lesung gelten dem Schutz der Armen und Schwachen; sie setzen einfache, eher ländliche als städtische Verhältnisse voraus, haben jedoch bis heute nichts an Wirklichkeitsnähe verloren.
ERSTE Lesung
Ex 22, 20-26
Wenn ihr Witwen und Waisen ausnützt, so wird mein Zorn gegen euch entbrennen
Lesung aus dem Buch Exodus
So spricht der Herr:
20Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen.
21Ihr sollt keine Witwen und Waisen ausnützen.
22Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören.
23Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, so dass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
24Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern.
25Nimmst von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
26denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Lein bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.
Antwortpsalm
Ps 18 (17), 2-3.4 u. 47.51 u. 50 (R: 2a)
R Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke. - R
(GL neu 31,1)
2 Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke.
IV. Ton
3Herr, du mein Fels, meine Burg, mein Retter,
      mein Gott, meine Feste, in der ich mich berge,
mein Schild und sicheres Heil, meine Zuflucht. - (R)
4    Ich rufe: Der Herr sei gepriesen!,
und ich werde vor meinen Feinden gerettet.
47 Es lebt der Herr! Mein Fels sei gepriesen.
Der Gott meines Heils sei hoch erhoben. - (R)
51 Seinem König verlieh er große Hilfe,
          Huld erwies er seinem Gesalbten
David und seinem Stamm auf ewig.
50Darum will ich dir danken, Herr, vor den Völkern,
ich will deinen Namen singen und spielen. - R
Zur 2. Lesung Wer sich Christus zuwendet, bekehrt sich zum „lebendigen und wahren Gott" (1 Thess 1,9): zu dem Gott, der den Menschen fordert und rettet. Vom „toten Gott" müsste da gesprochen werden, wo der Mensch sich weder fordern noch retten lässt. Der lebendige Gott hat Jesus aus dem Tod erweckt und ihm die Macht gegeben, die Welt zu richten und zu retten. Bis dahin ist für den Christen die Zeit des Glaubens, der Hoffnung und der werbenden Freude.
ZWEITE Lesung
1 Thess 1, 5c-10
Ihr habt euch von den Götzen zu Gott bekehrt, um dem wahren Gott zu dienen und seinen Sohn zu erwarten
Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher
Brüder!
5cIhr wisst, wie wir bei euch aufgetreten sind, um euch zu gewinnen.
6Und ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn; ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt.
7So wurdet ihr ein Vorbild für alle Gläubigen in Mazedonien und in Achaia.
8Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, so dass wir darüber nichts mehr zu sagen brauchen.
9Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen
10und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt.
Ruf vor dem Evangelium
Vers: vgl. Joh 14, 23
Halleluja. Halleluja.
(So spricht der Herr:)
Wer mich liebt, hält fest an meinem Wort.
Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden bei ihm wohnen.
Halleluja.
Zum Evangelium Die jüdischen Schriftgelehrten zählten in der Bibel 248 Gebote und 365 Verbote; gelten sie alle gleich, oder gibt es eines, das von allen das wichtigste ist und sie alle gleichsam trägt? Die Antwort ist, nachdem Jesus sie ausgesprochen hat, völlig klar und für alle Zeiten ins Bewusstsein gehoben. Ohne die Liebe wird keines von allen Geboten wirklich erfüllt; sie bleiben leer, erst die Liebe erfüllt sie mit Leben. Jesus hat das Gebot der Gottesliebe und das der Nächstenliebe zur Einheit zusammengefügt; er hat ihre Einheit sichtbar gemacht, durch sein Wort und durch seine Tat.
Evangelium
Mt 22, 34-40
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit,
34als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen.
35Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister,
36welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
37Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.
38Das ist das wichtigste und erste Gebot.
39Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
40An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.
Das Feuer der Liebe entzünden
Wir werden heute mit dem zentralen Thema unseres Glaubens konfrontiert, mit dem Gebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Wir müssen uns fragen: Inwieweit werden wir ihm gerecht? Es geht nicht um Anklagen, sondern um eine nüchterne Bestandsaufnahme. Bei dem Wort Nächstenliebe denken wir sofort an Spenden für Notleidende, für die Opfer der Katastrophen, für Hungernde in Afrika, für die Flüchtlinge, die aus diesem Kontinent kommen. Und es ist auch in der Tat so, dass wir uns als Mitglieder der Kirche in Deutschland mit der aufgebrachten Hilfe durchaus sehen lassen dürfen. Dafür stehen die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Adveniat. Den wenigsten ist bekannt, dass seit deren Bestand etwa 70 Millionen Menschen auf Dauer zu einer menschenwürdigen Existenz verholfen wurde. Es ist eine beachtliche Leistung und Zeichen dafür, dass der Auftrag Christi in dieser Hinsicht ernst genommen wird.
Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Wir können nicht die Augen verschließen vor dem gewaltigen Einbruch der festgefügten kirchlichen Tradition in den letzten Jahrzehnten, vor leeren Kirchen, Priesterseminaren und Klöstern. Eigentlich müssten kirchliche Lebensräume anziehend sein, weil ja dort das Gebot der Liebe herrschen sollte. Tatsache aber ist, dass immer weniger lebensfrohe, kritische Menschen, ob jung oder älter, dort für sich keinen Platz finden. Es lässt sich nicht leugnen, dass sich zwischen Kirche und moderner Gesellschaft ein breiter Graben auftut. Wir sollten nicht sofort unlautere Gesinnung vermuten. Für viele ist einfach die Art, wie man in dieser Kirche denkt, wie man miteinander umgeht, wie man Konflikte austrägt, welche Prioritäten man setzt, nicht einladend.Sie fühlen sich in dieser Atmosphäre nicht zu Hause. Eugen Biser, ehemals Professor am Guardini-Leerstuhl in München, ein tiefgläubiger, äußerst engagierter, gereifter aber auch sehr kritischer Mann, inzwischen verstorben, sagte zum Thema Kirche und moderne Gesellschaft: „Was den heutigen Menschen am Glauben irre macht, ist tatsächlich schon längst nicht mehr die Frage nach der Urzeugung oder Tierabstammung des Menschen, sondern die Unfähigkeit der Kirche, auf seine Sorgen verstehend einzugehen, seinem vielfach frustrierten Glücksverlangen entgegenzukommen und ihm in seiner Überforderung, Vereinsamung und Lebensangst einen Raum des Aufatmens, der Solidarität und der Geborgenheit zu bieten"(Eugen Biser , Glaubensverständnis, Freiburg 1975, 132).
Der moderne Mensch- zu dem darf sich jeder von uns zählen- möchte mit seinen Nöten und Hoffnungen, mit dem, was ihn umtreibt, was ihn quält und bedrückt, und mit dem, was ihn beseelt und beglückt, das heißt mit seinen Gefühlen ernst genommen werden.
Er möchte auch nicht mit Anmahnungen überschüttet werden, sei es der Bundespräsident oder der Bischof an hohen Festtagen. Denn er ist ja nicht selten von seinem Beruf schon überfordert, er tut sich oft schon schwer, mit seinem Anliegen und seiner Überzeugung mit jemand ins Gespräch zu kommen, er ist mit Ängsten belastet, die anderen lächerlich erscheinen. Es fehlt das vertrauensvolle Verhältnis untereinander, der Raum, wo man sich ohne Vorbehalt öffnen kann. wir müssen über die christliche Liebe neu nachdenken. Die tatkräftige, äußere Hilfe an Notleidenden ist die eine Seite. Liebe im tieferen Sinn ist, dass man sich mag, dass man einander vertrauen kann, dass man sich gegenseitig achtet, auch wenn man anderer Meinung ist und Anziehung. Hier ist genauer hin zu schauen, inwieweit die sonntägliche Eucharistie, die Pfarrgemeinde und deren Leitung, Arbeitskreise, Ordensgemeinschaften und Klöster Orte sind, wo man gerne hinkommt und erfüllt wieder nach Hause geht.
Findet man dort eine Atmosphäre, wie Jesus sie angeboten hat: „Kommt alle zu mir, die ihr unter Lasten stöhnt, ich will euch aufatmen lassen"(Mt11,28)?
Es müsste eine Angebot sein auch für die sein, welche vom Leben hart mitgenommen sind, von bisherigen Angeboten enttäuscht nach etwas suchen, das trägt. Nun kann man aber das gewünschte Umfeld nicht einfach durch guten Willen herbeiholen. Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass Sympathien und wohltuende Atmosphäre nicht planbar und machbar sind, nicht wie ein Programmpunkt abgehackt werden können. Gefühle eine eigene Dynamik, sie können nicht mit guter Absicht von heute auf morgen umgepolt werden. Und doch gibt es wirksame Zugänge. Sie beginnen damit, dass man für das, was in einem selbst vorgeht wach wird, was aufsteigt an Sehnsucht und Hoffnung und an Zorn und Ärger, an Enttäuschung und innerer Leere. Dazu gehört, dass man die inneren Tatsachen nicht den anderen zuschiebt, sondern sie als die ganz eigenen anerkennt. Es ist berechtigt,sich mit sich selbst zu befassen und so seinen leidenden Zustand zu verbessern. Dies wirkt sich auf andere aus. Man kann dies Selbstliebe nennen.Sie gehört zum zweiten Teil des Hauptgebots, den man gerne überhört oder mit dem Egoismus gleichsetzt. Es heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!(Mt22,39).
Es gibt eine Einstellung, die nur das eigene Interesse kennt, nur die eigene Meinung gelten lässt, anderen den eigenen Willen aufdrückt, was man mit Recht offenen oder versteckten Egoismus nennen kann. Anders ist eine verantwortete Sorge um das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden. Dies kann auch bedeuten, dass man sich von einer zu schwer gewordenen Last zurückzieht oder sogar einen ganz eigenen, ungewöhnlichen Weg geht. Häufig geschieht es, dass dadurch neue Räume des Verstehens und der Geborgenheit entstehen. Bei allem Einsatz für andere, darf einem die eigene Lebensfreude nicht abhandenkommen. Wer selbst gehetzt, bedrückt, angespannt und voller Unruhe ist, kann nicht anderen einen Ort anbieten, in dem sie zur Ruhe kommen, sich öffnen und entlasten können. Wer das Hauptgebot der Liebe ernster nehmen will, muss sich nicht noch schwerere Lasten aufladen und darunter zu keuchen. Besser ist es, sich einmal hinzusetzen und zu schauen, was ist.
Was ist das Meine und was kann ich und muss ich ablegen, und was bereichert mich und macht mich echter und froher? Diese Überlegung hilft mit, das Gute zu tun, das aus dem eigenen Herzen kommt, und das nur auf diese Weise dem entspricht, was den Willen Gottes für mein Leben ausmacht. Array