Jedermann stirbt

                                                                                                                                                von Ferdinand Schmalz


Bei Jedermann handelt es sich um ein Theaterstück, das in Salzburg als das große Ereignis Ströme anzieht und das von einem jungen, geistreichen Verfasser neu für unsere Zeit gestaltet wurde. Dem Inhalt nach wird das Schicksal von Jedermann, das heißt jedes Menschen durchgehandelt. Wie ist es, wenn man mit dem Tod konfrontiert wird? Die Sicht auf das Leben- die Weltanschauung - dreht sich total um. Die Elemente, denen er einmal seine ganze Energie, seine Zeit und seine Liebe geopfert hat, lassen ihn total im Stich.
„Jedermann" ist niemand, niemand außer wir." So endet das Drama und ruft zur tiefsten, letzten, wichtigsten Selbstbesinnung auf. Das Ganze steht unter dem Titel des Glaubens im Blick auf den Tod. In der Laudation auf den Autor aus Anlass des Ludwig Mülheims Theaterpreis 2018 wird gesagt; „
Der Glaube muss in der Kultur eine Rolle spielen, damit die Welt nicht zugrunde geht". Aber an was muss ich denn glauben, damit die Welt nicht zugrunde geht? An Gott? Was mache ich denn, wenn ich an Gott nicht mehr so recht glauben kann? Der Aufbruch zu diesem Glauben hin ist sicher der beschwerlichste in seinem Werk". Er geschieht nur dann, wenn man, wenn jedermann mit sich selbst konfrontiert wird, wenn man den Grundbedingungen des Daseins nicht mehr ausweichen kann. Der Weg zum Glauben ist gleichbedeutend mit der Frage: Wer bin ich? Er wird im Tiefsten und Letzten herausgefordert durch die Tatsache des Todes, nicht als bloße Überlegung, sondern als das Schicksal, das einen /jedermann jetzt und hier trifft, wenn einem die Diagnose gestellt wird, dass der Tumor schon die wichtigsten Körperzellen besetzt hat. Das Theater will keine Zuschauer, sondern Teilnehmer, solche, die am Schicksal der Haupt-Figur unmittelbar teilnehmen, weil jeder „Jedermann" ist. Nicht das Diskutieren über Sinn und Zweck des Daseins ist angefragt, sondern die unmittelbare Betroffenheit. „Der Mann bist du!" sagte einst der Prophet Nathan zu David, als er ihm die Geschichte vom reichen Mann mit den tausend Schafen, der dem Armen das einzige Lamm wegnahm...(2 Samuel 12. 6).
Wer bin ich wirklich, wenn alles abfällt, was bisher Leidenschaft und Inhalt allen Denkens war? . Im Angesicht des Todes wird offenbar, dass alle Beziehungen zu den Personen, die das Leben von Sinn erfüllt machen, nur vom Geld, vom Mammon beherrscht waren und unter diesem Blickwinkel gesehen wurden. „Ich mache euch zu Aktienbündel, ich kaufe und verkaufe euch". Es wird nicht von Himmel und Hölle gesprochen, wohl aber von der Wahrheit der eigenen Existenz, wo alles Äußere, ob Karriere, Gewinn, Berechnung, Ansehen, Berühmtheit- abfällt. Wo sich die Beziehungen als hohl erweisen und die scheinbar nächsten Personen ihn nicht auf dem Weg begleiten können. Tod Das Stück endet aber nicht in der bloßen Ausweglosigkeit, in der Verzweiflung des Absurden.. Es soll ein Riss in die glatte, mit sich selbst zufriedene, in sich geschlossene, bis zum letzten berechnete Existenz gerissen werden, in dem ein Funke aufstrahlt.
Die einzelnen Figuren stellen jeweils ein Thema seines verfehlten Lebens dar. In der Reihe des Auftretens sind es
die (teuflisch) gute Gesellschaft.
armer Nachbar Gott
Jedermanns Frau,
Jedermanns Mutter 
Buhlschaft Tod, ,
dicker Vetter,
dünner Vetter,
Mammon,
Gute Werke.,
Da ist er, der  arme Nachbar Gott.
„Der Glaube muss in der Kultur eine Rolle spielen, damit die Welt nicht zugrunde geht". So wird im Vorspiel gesagt. Aber an was muss ich, an was kann ich glauben? An die Karriere, an den Fortschritt, an den Erfolg, an die Berühmtheit, an das Publikum, an die Gleichgesinnten, an das Geld, dass sich von selbst vermehrt? Oder an Gott? Der Verfasser stellt diese Frage in das Zentrum seines Werkes. Der Aufbruch zu diesem Glauben ist sicher der beschwerlichste. Er lässt ihn von ganz unten beginnen als glimmenden Docht, als einen Riss in einer glatten Oberfläche, in der Oberflächlichkeit der guten Gesellschaft, die teuflisch genannt wird. Gott wird als der arme Nachbar dargestellt, der sich beim Fest im Garten des Jedermann unbemerkt eingeschlichen hat. Gott, in der Frömmigkeit als der Allmächtige, in der Philosophie als das absolute Sein, in der Theologie als die höchste Majestät und Autorität verbirgt sich hinter den Sträuchern. Auf die Frage „ Wer bist du?" Sagt er: Was kein Nam benennt
Je : Was hast du hier verloren:
. Dich!
Je. Hast wieder mich gefunden, kannst auch wieder gehen
„Ich bin, was aus dem Blickfeld rausgedrängt, bin keiner unter vielen". Damit wird die volle Realität, wie Gott und die Religion in der westlichen, aufgeklärten Gesellschaft gesehen wird, getroffen. Wenn man auf das Thema Gott/ Religion zu sprechen kommt, triff man auf Verlegenheit, Unsicherheit, verbitterte und verbissene Ablehnung, meist steigt Zorn auf die Kirche. Religion ist zur Nebensache geworden, etwas, worüber man nicht spricht. Nach einer Umfrage, setzen Eltern als Wichtigkeit für ihre Kinder die Religion an 16. Stelle. Man brauche diese Hypothese nicht, um die Welt zu erklären, sagte vor 200 Jahren der Wissenschaftler Laplace und mit ihm solche, die sich auf ihre Wissenschaftlichkeit berufen. Im wissenschaftlichen und geschäftlichen Denken, das als Denken als solches gilt, neben dem kein anderes bestehen kann, kommt Gott nicht vor. Er hat einfach keinen Platz mehr. Gott ist in der Sicht der meisten zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Nicht einmal:
Auf der Synode der katholischen Kirche wird die Frage nach Gott als eigenes, sogar wichtigstes Thema nicht behandelt. Ist Gott auch dort zur Nebensache geworden?
Mit dem Wort „bin keiner unter vielen" ist aber noch eine viele tiefere Wahrheit angesprochen. Was Gott genannt wird, ist nicht in der Welt zu finden, in der alles streng logisch abläuft, alles glatt berechnet und zurecht gebügelt wird. Er kommt ganz anders, wo man ihn nicht vermutet, wo diese Welt einen Riss hat. Dieser Riss hat mit der ganz persönlichen Betroffenheit zu tun., er besteht darin, dass man getroffen ist, ohne ausweichen zu können... Weil darunter jeder, Jedermann vorkommt, weil es jeden trifft, darum ist er nun einmal da der Riss und man kann ihn nicht mehr hinauswerfen wie den armen Nachbarn beim Fest im Garten. „Gott ist das Symbol für das, was mich unbedingt angeht. sagt ein kluger Theologe Paul Tillich.
Gott ist nicht wie ein Gegenstand oder wie ein Faktor in der wissenschaftlichen Theorie, auch nicht wie eine Autorität, vor der man sich ducken muss, zu finden. Man kann den Gottesleugnern nicht abstreiten, dass auf ihrem Horizont Gott nicht vorkommt. Gott ist die Erfahrung, welche diesen Horizont sprengt, „außerhalb der Zeit gefallen".
Was mit betroffen sein gemeint ist und was dies mit Gott zu tun hat, bringt eine Frau die in einer Umbruchphase zutiefst aufgewühlt zum Ausdruck:.
Ich spüre, dass die Wut eine Spur ist zu mir!.......der Teil, der mir am meisten Angst macht, der Teil bringt mich in die Nähe Gottes. Und Gott ist unten, in der Tiefe meiner Abgründe, meiner Angst, meiner Bosheit, meiner Verruchtheit. Gott ist dort, wo ich am meisten Angst habe- wo ich es nie gedacht hätte. Gott ist eine Sie geworden. Und ist in mir!!!!!! Mich erfasst eine ungemeine Sehnsucht nach dieser Gottheit und nach der Tiefe
Es muss nicht dieser Aufbruch der totalen Krise sein. Es sind andere Ereignisse, wo Menschen zuinnerst engagiert sind, sind Geburt, Hochzeit, die Leidenschaft der Liebe, die zusammenführt, und der Tod. Da kommen die Leute noch in die Kirche. dabei, erfülltes Leben in der Nachkommenschaft, schließlich der Tod.
Jedermanns Frau: hat sich da ein Gefühl eingeschlichen, dass das nicht mehr mein Mann, nicht mehr der Mann , den ich früher mal geliebt und Dass dieser Mann dass der schon längst gestorben ist , gestorben ist für mich . Und weiß es nur noch nicht.
Der arme Nachbar Gott und das Fest:
Der arme Nachbar wird von Jedermann großzügig gegen Einwände zum Fest aufgenommen. Er bekommt einen neuen, entsprechenden Anzug, aber nur geliehen. Ein treffendes Bild, wie immer noch mit dem Thema Religion umgegangen wird. Man kann mit der Religion sehr gut Feste feiern. Zu denken ist an die Feier der Ersten Kommunion des heranwachsenden Kindes. Die Einladung und der Aufwand ist oft größer als bei einer Hochzeit. Man müsste meinen, dass die Kommunion, das heißt die Eucharistie die wichtigste Rolle im Leben des Kindes, der Eltern und der Eingeladenen spielt. Es sieht zunächst so aus, weil -die Kirche bei der Feier gesteckt voll ist. Ganz anders ist es dann am nächsten Sonntag und an den folgenden des Jahres. Von den Feiernden ist nur noch ein winziger Anteil sichtbar. Gott ist weiterhin der arme Nachbar, der seinen Namen für das Fest hergab... So mancher Pfarrer empfindet sich als Zierfigur bei Familienfeiern.
Niemand feiert so wie jedermann „Klopft erst der Tod mal an die Tür, beginnt das eigentliche Fest"
Als Jedermann vom Jogging zurückkommt, spürt er einen Schmerz in der Brust. Jedermanns Mutter fragt ihn: Was hast du? Nichts sagt er. Das sagt man gewöhnlich, wenn etwas da ist, worüber man nicht reden will. das man von sich wegschiebt, wovon man sich nicht betreffen lassen will. Stattdessen wird die brisanteste Wahrheit durch lautes Getöse übertönt. Es wird gefeiert, um die inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen Wenn erst der Wein nicht mehr recht schmeckt-dann trinkt er Schnaps. Wenn erst der Tanz mal aus dem Takt, Dann stolpert er den Walzer, tanzt alles an, jedermann, jedermann, jeder mann..

Buhlschaft Tod
Auf dem Fest erscheint plötzlich eine junge Frau. Sie steht auf dem Tisch ...
Nur eine Gestalt begleitet Jedermann auf dem letzten Weg und dies sehr innig: Buhlschaft Tod . Der Tod ist nicht ein männliches Gerippe, sondern ein verführerisches Mädchen, eine sie. Eigentlich gar nicht so weit weg. In den romanischen Sprachen ist Tod weiblich. Der heilige Franziskus preist Gott wegen der Schwester Tod! (La sora morte corporale.) Sie tanzen zusammen immer enger, bis ihm die Luft ausgeht. „Zieht fester wie ein Knoten sich" Sie flüstert ihm etwas ins Ohr, das niemand versteht außer Jedermann. Nach diesem Tanz ist Jedermann leichenblass! Es ist die letzte, unausweichliche Botschaft: Es ist aus mit ihm! Jedermann bittet um Aufschub, er müsse noch vieles erledigen.
Doch Buhlschaft Tod sagt: Du hattest genug Zeit. Es gab genug Zeichen. Aber du wolltest sie nicht wahrnehmen. ...
Jedermanns Mutter:

Es kommt noch eine Stunde, da wirst auch du bereuen, die näher als du denkst, gibt es dann kein zurück und wiegen die Entscheidungen , die falschen, schwer. Im schlimmsten Fall stehst du dann da, merkst erst im letzten Augenblick, wofür es sich zu leben hätt gelohnt.
Ich sage nur, dass ich es nicht weiß, ob man sich dann entschuldigen kann , ob man die Lebensschuld , da in den letzten Augenblick abschütteln, abzahlen, abstottern kann.

der arme Nachbar Gott : Wenn sich die Perspektive dreht! Was ist dann? Dann kommt die letzte Wahrheit zum Vorschein. Der arme Nachbar Gott begegnet Jedermann noch einmal, als dieser völlig verzweifelt durch den Garten irrt. „Ob es nicht sein könnte, dass er ,der jedermann, heut nacht einen ähnlich tiefen Blick in die innen Abläufe der Welt hat werfen können. Die Wirkung der Begegnung beschreibt die gute Gesellschaft: der jedermann sieht rein da. In den Blick hinein von ihm. Dem alten, der sich jetzt tief in seine Seele gräbt, als wär sie die Seele, auch ein Garten und denken nur , wir denken, jetzt, jetzt, hat er ihn, der alte Menschenfänger.
Armer Nachbar: „Wohl habe ich gesagt: ihr seid Götter. Ihr alle seid Söhne des Höchsten, doch nun sollt ihr sterben wie Menschen, sollt stürzen, weil das Stürzen auch dazugehört." Das Stürzen gehört zum Leben, sonst verliert das Leben seinen Geschmack. Damit kann sich Jedermann aussöhnen.
Armer Nachbar: „Auch da noch im finstersten Loch muss jeder sich entscheiden, ob man an etwas Höheres glaubt, das unsere kleinen Menschenleben übersteigt.
Und muss ich auch wandern in finsterer Schlucht
Jedermann : ich fürchte kein Unheil.
Nachspiel 

Viktoria 

Ferdinand Schmalz hat schon sehr genau beobachtet,
wieùm den glauben heut bestellt ist.
Dass aber ein Glimmen
.-sorgsam bewacht-auch wieder brennen könnte.
Vielleicht müssen wir Glauben anders denken?
beweglicher.
Elastischer
Vor allem aber selbstbestimmter
Der Glaube an Gott muss aus uns selbst heraus,
muss einen Riss in uns sich selber reißen.
Und das geht nur, wenn wir uns öffnen.
Für die Möglichkeiten

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