Die Liturgie- die offene  Macht der Kirche?


Zurzeit herrscht im Raum der Kirche die heftige Diskussion um die Macht. Der Synodale Weg soll die Machtverteilung neu ordnen. Es sei unerträglich, dass nur Kleriker an den Machthebeln sitzen, Entscheidungen treffen, die alle angehen. Wenn ich in einer Gemeinschaft nicht mitbestimmen darf, habe ich auch kein Interesse daran. So denken viele und verlassen die Kirche in Scharen. Man ist krampfhaft bemüht, Machtverhältnisse in der Kirche aufzudecken gerade im ganz gewöhnlichen kirchlichen Alltag, gemeint ist der Ablauf der Liturgie. Die einen, durch die besondere Kleidung gekennzeichnet, agieren und reden, die andern hören und lassen alles an sich vorbeiziehen. Dies sei ein Bild für die gesamte Struktur der Kirche heute, so wird kritisch bemerkt. Gefordert wird Gleichberechtigung und Mitbestimmung auf allen Ebenen, wie es heute in einer demokratischen Gesellschaftsform üblich ist. Nun ist aber letzte Norm für Christen das Evangelium nicht die jeweils herrschenden Regeln einer Zeit.. Hier gilt es genauer hinzuschauen, was mit Macht gemeint ist. Das Wort „Macht" griechisch exusia kommt in verschiedener Bedeutung vor.                                                         
Die Macht des Pilatus
„Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich zu kreuzigen und Macht habe, dich frei zu lassen?" (Joh19,10), sagt Pilatus zu Jesus.
Die Macht des Pilatus gehört zu der Art von Macht, wo Menschen über Menschen herrschen, ihnen ihren Willen aufzwingen, dazu die Mittel haben, die entsprechenden Sanktionen, das heißt Bestrafungen durchzuführen. Es ist die Ordnung, die auf Befehl und Gehorsam aufgebaut ist, milder gesagt auf Gesetze, Regeln, Anordnungen und deren Befolgung. Der Wille des einzelnen wird unterdrückt zugunsten des Höhergestellten, der die Ordnung des Staates, der Kirche, einer Gemeinschaft vertritt und aufrechterhalten will. Das kann so weit gehen, dass Entscheidungen, die den persönlichen Bereich des einzelnen, die Ausübung des Berufes, der Aufenthaltsort, oft auch die freie Meinungsäußerung betreffen, ohne dessen Zustimmung gefällt werden. Im Extremfall verfügt der Inhaber dieser Macht über Leben und Tod des Untergebenen, wie es Pilatus vor Jesus gesagt hat.
In der Geschichte der Kirche hat es diese Form der Machtausübung gegeben und sie gibt es in abgeschwächter und abgewandelter Form immer noch. Darüber herrscht die große Klage. Es läuft auf die Frage hinaus: Wer macht die Gesetze? Wer trifft die Entscheidungen?
Was die Kirche anbelangt sind es die kirchlichen Vorgesetzten, der Pfarrer vor Ort, das bischöfliche Ordinariat, der Bischof, die Bischofskonferenz, der Vatikan, der Papst. Entscheidungsträger sind Kleriker, Männer mit Weihe. Dies stößt bei Menschen mit modernem Demokratieverständnis auf Widerstand.
Es wird in Frage gestellt, dass Entscheidungen theologischer und disziplinärer Art an das Weihesakrament gebunden sind und diese Weihe nur Männern vorbehalten ist.Dabei muss gesagt werden, dass auch deren Spielraum sehr begrenzt ist
Dagegen wird von Mitgliedern, die Interesse und Sorge um die Kirche tragen, Mitbestimmung eingefordert. „Wir sind Getaufte, wir sind Mitglieder der Kirche, wir leiden an den Missständen, und wir können gar nichts daran ändern" so äußern sich Gläubige, schließen sich in Gruppen zusammen und verlangen ihr Recht. Es hat sich viel Unmut, Unzufriedenheit und Zorn angehäuft.
So haben sich schon vor 25 Jahren Gläubige zur Kirchenvolksbewegung zusammengeschlossen, in jüngster Zeit ist es die Frauenbewegung Maria2.0. Es geht um die „Gleichberechtigung der Frau, die mit gleicher Würde und mit gleichen Berufungen gesegnet und geliebt ist als Gottes Kind, wie jeder Mann." Verlangt wird der Zugang zu den Weiheämtern, der Voraussetzung für Mitbestimmung ist und die volle Gleichberechtigung schafft. „Gefordert wird die Abschaffung bestehender männerbündischer Machtstrukturen", ebenso die Verpflichtung zum Zölibat. Die Liturgie, in der Männer mit feierlichen Roben auftreten und die entscheidenden Worte sprechen, sei das beste Bild für diese Machtstruktur, so lautet die Kritik.

Die Macht Jesu
Jede Kritik am Rahmen der Kirche muss sich an Jesus orientieren, wenn sie ernst genommen werden will. Nun wird das Wort „Macht" - exusia- , mit dem Pilatus droht, auch Jesus zugeschrieben, aber in einer ganz anderen Weise.
Bei der ersten Rede Jesu in Kapharnaum sind die Zuhörer hingerissen. Sie bringen vor Staunen den Mund nicht mehr zu Es herrscht eine Stille, dass man ein Blatt hätte fallen hören.
Nach dem Gottesdienst bleiben sie stehen und einer fragt den andern: „Wer ist dieser? Diese Art von Predigt haben wir noch nie gehört." „Er lehrte wie einer, der Macht hat, nicht wie die Schriftgelehrten"(Mk1,23).
Die Macht, von der die Rede ist, ist nicht die Macht des Pilatus, sie zeigt sich auch nicht als eine Vollmacht, die von einer höheren Autorität übertragen ist, nicht einmal von Jahwe selbst. Jesus nimmt den Namen Gottes nicht für sich in Anspruch, um damit den Dorfbewohnern Achtung, Angst und Gehorsam einzuflößen. Er sagt nicht: „So spricht der Herr!" Oder „Ich bin der Sohn Gottes, also habt ihr auf mich zu hören". Die Macht, mit der Jesus auftritt, hat nichts mit einer beauftragten Rolle zu tun, welche durch Kleidung oder besondere Abzeichen wahrgenommen wird. Sie wirkt durch sich. Es liegt in der Art, wie die Worte gesagt werden, die einschlagen, das Innerste berühren. Es ist, als ob Lasten abfallen würden. Eine völlig neue Sicht des Daseins und der Zukunft tut sich auf. Dies geht so weit, dass viele alles liegen und stehen lassen und mit ihm gehen.
Es ist die ganz persönliche Ausstrahlung eines Redners, welch die Aufmerksamkeit der Hörer und die Atmosphäre im Raum bestimmt. Darin liegt die überwältigende Wirkung, welche das Auftreten Jesu hat. „Sein Ruf verbreitete sich alsbald überall hin im ganzen Umkreis von Galiläa".(Mk1,28).
Die stärkste Macht: das Heilige
Zutiefst aufgewühlt und beeindruckt erzählen die Leute die Neuigkeit weiter, daheim in der Familie, auf dem Marktplatz, in der Gastwirtschaft. Es wird weitergesagt in der ganzen Gegend. Scharen von Menschen von überall her suchen ihn auf, bleiben Tage lang bei ihm, ohne an das Essen zu denken. Sie hatten nie damit gerechnet, dass sie solange bei ihm bleiben würden und der mitgenommene Vorrat nicht reicht. Die Ausstrahlung Jesu ließ sie nicht mehr weggehen. Man darf an den Pfarrer von Ars denken, zu dem Menschen von weither kamen, oft Tage lang anstanden, um ein gutes Wort von ihm zu hören und etwas von seiner Atmosphäre zu spüren. Es ist die des Heiligen als eigene Dimension der Erfahrung, die auch heute noch an heiligen Stätten wahrgenommen werden kann. Jesus muss sie in der intensivsten Form ausgestrahlt haben besonders, wenn er vom Gebet aus der Einsamkeit des Berges kam. Deshalb drängten sich die Leute um ihn und versuchten, ihn zu berühren „Es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte." (Lk6,19). Jesus hat Macht über andere, aber nicht die Macht derer, welche andere unter Druck setzen oder zu eigenen Zwecken verführen.

Die Macht, die groß macht!

Es ist eine Macht, welche dem einzelnen die Freiheit lässt, seine Entfaltung fördert, den andern groß und nicht klein macht. Am deutlichsten wird es bei den Jüngern, die als einfache Fischer zu Figuren werden, welche die Weltgeschichte bewegen.
Das Versprechen Jesu „Ich werde euch zu Menschenfischer machen"(Mk1,17) hat sich bewahrheitet. Davon berichtet als erste die Apostelgeschichte. Das überzeugende Auftreten der Apostel - ihr Freimut-versetzte die oberste jüdische Behörde in Staunen, „als sie erfuhren, dass sie ungelehrte und bildungslose Leute seien" (Apg4,17).
Die Macht, die Jesus dem Petrus verleiht, ist ganz auf die persönliche Beziehung und auf die ganz eigene Geschichte mit Jesus aufgebaut. Dafür stehen die Worte: „Petrus, liebst du mich?....... Weide meine Schafe!"(Joh21,17). Er ist kein Papst, der einer Weltkirche vorsteht und deshalb entsprechende Aufmerksamkeit und Ehren empfängt. Es steht keine Institution dahinter. Er ist ganz auf sich selbst gestellt. Er kann nur mit dem überzeugen, was er unmittelbar in sich trägt. Dies hat sich bei der Rede an Pfingsten, bei der Heilung des Gelähmten und bei der ersten Begegnung mit einem heidnischen Hauptmann als großer Erfolg erwiesen.
Die Macht, die Jesus in Kapharnaum zugesprochen wird (Mk1,27), ist ganz anders ist als die des Pilatus und anderer Herrscher. Sie ist nicht militärisch, aber durchaus politisch in dem Sinn, dass sie eine Wirkung nach außen hat, dass sie Grundstrukturen des politischen Denkens verändert. Jesus nimmt dafür das Bild des Sauerteigs (Mt13,33). Es ist jeweils die persönliche Ausstrahlung des Verkündigers, die ansteckend wirkt.. Niemandem wird befohlen, aber jede/r, der/die einem Jünger mit dieser Macht begegnet, wird eingeladen, sich ihr zu öffnen.
Im Ringen um Gleichberechtigung, um Verteilung der Macht, um gerechten Ausgleich in der Institution Kirche, im Streit um Positionen, um Ämter ist die Art von Macht zu berücksichtigen, die Jesus ausgestrahlt und die er Petrus verliehen hat.

die Macht der Liturgie
Der tiefste Sinn der Liturgie wird dann erfüllt, wenn etwas von der Macht Jesu in Kapharnaum spürbar wird. Es ist schon viel geschehen, wenn Teilnehmer eines Gottesdienstes mit dem Gefühl weggehen: Es hat mir gutgetan. Um diese Wirkung zu erreichen, muss der Leiter selbst vom Heiligen ergriffen sein. Ergriffensein überträgt sich von selbst. Alles, was auf absichtlich gemachte Wirkung ausgeht, trifft nicht den Kern des ursprünglich Gemeinten Der Schwerpunkt liegt in der Art, wie er auftritt, wie er Verneigungen macht, wie seine Worte klingen. Es ist die Persönlichkeit, durch das Wort von Gott lebendig und überzeugend wirkt, ob er/sie das selbst erlebt hat oder nur vom Studium weiß, ob die eigene Lebensgeschichte dahintersteht oder ob es nur die reine Lehre ist.

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