Karfreitag

1.Lesung Jes 52, 13 - 53, 12                                                   

2.Lesung Hebr 4,14 - 16;5,7 - 9

Passion - Leidensgeschichte Joh 18,1 - 19.42

 

Von der Würde des Todes

Wir haben uns niedergekniet in Ehrfurcht vor dem Tod Jesu, zugleich vor dem eines jeden Menschen und nicht zuletzt vor unserem eigenen. Das Drama der Verurteilung Jesu gehört zu den Tragödien menschlichen Leids und zertretener Menschenwürde. In ihr sehen wir die Geschichte aller Geschlagenen und Geschundenen. Wir erkennen darin auch die Seite unseres Lebens, die wir mit Leid, Angst, Krankheit, Vergänglichkeit und Tod bezeichnen und an die wir am liebsten nie denken. Vielleicht fangen wir an, das Unbegreifliche unseres Daseins etwas zu verstehen.
Wie kommen wir zu jener grundlegenden Überzeugung, die in den Worten enthalten ist: Durch den Tod Jesu sind wir erlöst?

Schauen wir die Szenen von der Verurteilung Jesu etwas genauer an! Wir werden sehen, dass hinter der Schilderung von Hass und Fanatismus, von Angst und erbärmlicher Schwäche ein Hintergrund aufscheint, der dem ganzen Geschehen eine andere Perspektive gibt.
Wir finden eine Spur, die heller und stärker ist als alle Verwirrtheit und Bosheit der Menschen, wir dürfen es sagen: es sind die Spuren Gottes, die unzerstörbar sind.

Gleich zu Beginn der Erzählung stoßen wir auf eine Stelle, die uns aufmerken lässt. Jesus gibt sich mit den Worten zu erkennen: „Ich bin es" (Joh 18,5). Darin ist mehr enthalten, als wenn man seinen Personalausweis der Polizei vorzeigt. Es steht noch dabei: „Während er dies sagte, wichen sie zurück und fielen zu Boden“ (Joh 18,6). „Ich bin mehr als der, den ihr meint", will Jesus sagen. „Es geht um meine innerste Identität, meine innerste Überzeugung, mein innerstes Sein. Und das könnt ihr nicht zerstören“. So könnten wir den Satz umschreiben.

Weitere Hinweise ergeben sich aus der Szene bei Pilatus, in welcher der Angeklagte als der erscheint, der dem Richter weitaus überlegen ist. Die Frage des Pilatus, ob er der König der Juden sei, beantwortet Jesu mit der Aussage, dass er der König der Wahrheit ist, der letzten Wirklichkeit, der alles Vergängliche unterworfen ist. Jesus hat sogar die Kühnheit, dem Pilatus die Antwort zu verweigern, als ihn dieser nach seiner Herkunft fragt. Er schweigt, weil er auf Druck hin nicht von seinem innersten Wesen sprechen kann; er kann es sich sogar leisten, den Vertreter des römischen Weltreiches darauf hinzuweisen, dass seine Macht auch nur ausgeliehen ist. In unserer Sprache übersetzt könnte es lauten: „Wer bist du denn noch, wenn du deine Uniform ausziehst und nicht mehr im Amt bist?“

Und da ist noch ein wichtiger Satz, den Jesus als letzten spricht. Er lautet: „Es ist vollbracht" (Joh 19, 30). Es heißt so viel wie: „Es ist vollendet!“ Aber wie kann das Leben eines Menschen vollendet sein ‑ so fragen wir ‑ der mitten aus dem Leben gerissen wird, dazu ungerecht und gewaltsam? Die Bibel spricht gerne von Menschen, die satt an Jahren, d.h. satt an Leben gestorben sind. Den Tod eines alten Menschen können wir leichter annehmen. Er gehört dazu. Einmal muss es sein, sagt man gewöhnlich. Aber der eines jüngeren? Jesus konnte sagen: Es ist vollbracht. Hier scheint etwas durch, was über das Nur‑ Menschliche hinaus geht. Es ist dies die Perspektive des Urgrunds, den Jesus den Willen des Vaters nennt. Darin hat sein Leben eine Gestalt gewonnen.
Es hat seinen Sinn erfüllt. In diesem Augenblick ist Gottes Wirklichkeit stärker als Entsetzen, Grauen und Tod.
Sagen wir hier nicht zu viel und überspringen berechtigte Einwände, die dem Geschehen seinen Schrecken lassen wollen und eine nachträgliche Verherrlichung ablehnen?

Kann es sein, dass auch bei anderen Menschen der Tod eine innere Größe in sich trägt oder zu einer solchen führt? Wir möchten es von Menschen wissen, von denen wir nicht soweit durch die Geschichte getrennt sind. Wir denken an die kurz vor Kriegsende ermordeten Widerstandskämpfer des Dritten Reiches. Darunter ist neben Bonhoeffer, Moltke und vielen anderen der Name des Jesuiten Alfred Delp. Sein Prozess vor dem Volksgerichtshof hat viele Parallelen zum soeben vernommenen Prozess Jesu. Wir haben authentische Zeugnisse von ihm, kurze Mitteilungen, die aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden. Sie geben etwas von dem wieder, was jeden, der sich mit Leid und Tod auseinandersetzt, brennend interessieren könnte, und woran wir nicht ohne ein gewisses Schaudern denken. Wie ist einem Menschen  zumute, der bei voller Gesundheit und wachem Bewusstsein den Tod zu erwarten hat? Da lesen sich manche Sätze wie eine Kostbarkeit. Gewiss, es fehlen nicht Trauer, Abschiedsschmerz und Einsamkeit. Aber andere Passagen sprechen eine Überzeugung aus, die uns als Nichtbeteiligte zutiefst berührt.
Lesen wir einige Zitate:
„Einen schönen Raum innerer Freiheit hat Gott mich gewinnen lassen. Die Selbstsicherheit ist zerbrochen. Aber Gottes Wirklichkeit geht mir allmählich in großer Nähe und Dichte auf". „Wie man nur so halb und Viertels leben konnte, wie ich es getan habe“.
„Denn jetzt bin ich ja erst Mensch geworden, innerlich frei und viel echter und wahrhaftiger, wirklicher als früher".

Wir dürfen annehmen, dass hier etwas vom leuchtenden Hintergrund der letzten Stunden Jesu aufscheint, auf den er seine ganze Hoffnung setzte.
Um hier noch einmal den Kreis zum Sterben Jesu zu schließen. Die drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten, dass um die Zeit des Todes Jesu, von der sechsten bis zur neunten Stunde, die Sonne sich verfinsterte. Das will heißen: Die Sonne geht unter beim Tod eines Menschen und erst eines solchen, wie Jesus es war, dessen Gesicht wie die Sonne leuchtete und der „Sonne der Gerechtigkeit" genannt wird. Das Bild vom Sonnenuntergang sagt uns: Nichts von dem, was bei Tag gewachsen ist und geblüht hat, geht verloren. Es wird trotz allem wieder Morgen.