© by Guido Kreppold 2004 Gesamtherstellung des privaten Nachdrucks: Vier-Türme GmbH, Benedict Press, Münsterschwarzach

Inhalt

I.Einleitung
                                                                                              
II.Franziskus von Assisi

                                                               
1.Kurzer Abriss seines Lebens                                                                           
2.Vom „normalen“ Menschen zum Ordensgründer und Heiligen       
3.Die Gemeinschaft stiftende Kraft seiner neuen Existenz                  
4.Die Selbstverwirklichung des hl. Franziskus                                       

III.Nikolaus von Flüe                                                                      

1.Kurze Lebensbeschreibung                                                                        
2.Die Visionen des Bruder Klaus                                                                  
3.Urerfahrung und Religiosität                                                                      
4.Die Lebenswende                                                                                     
5.Die Weltgestaltung
                                                                                     
IV.Johannes Vianney - Pfarrer von Ars                                 

1.Kurze Lebensbeschreibung                                                                        
2.Die Persönlichkeit des Pfarrers                                                               
3.Der Kampf gegen die Sünde als Lebensaufgabe                            
4.Der Kampf des Pfarrers mit dem Teufel                                                  
5.Die Kommunikationsfähigkeit des Pfarrers                                               

V.Teresa von Avila
                                                                         
1.Kurze Lebensbeschreibung                                                                       
2.Entwicklung ihrer Persönlichkeit                                                                
3.Die Lehre von der Seele   
4.Der Zugang zur Seele - angewandte und gelebte Psychologie            

Literatur                                                                                                          

Umschlagtext:
Krisen sollten im Leben eines normalen Menschen nicht Vorkommen. Wer schon einmal eine schwere Krise hatte - sei es in der Ehe, im Beruf, in seiner religiösen Ausrichtung - gilt eher als unzuverlässig.
Bei den großen Gestalten der Geschichte, bei den Heiligen, war es genau umgekehrt. Sie sind ziemlich alle durch schwere Krisen gegangen. Die Krise war für sie die große Chance ihres Lebens. Es war der Ausbruch aus Oberflächlichkeit und Banalität zu einem Dasein in Erfülltheit, reicher Fruchtbarkeit und umfassender Tragweite. Durch die Krise wurden sie zu dem, als die wir sie heute schätzen und verehren.

Einleitung

Die Beziehung der Christen zu den Heiligen ist in unserer Zeit sehr unterschiedlich. Für viele haftet den Heiligen etwas so Unwirkliches, „Mystisches“, Legendäres an, dass sie sich gar nicht die Mühe nehmen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Andererseits wird von der Kirche auch in unseren Tagen die Verehrung von bereits verstorbenen Männern und Frauen, die ihren Glauben heroisch gelebt haben, durch die feierliche Heiligsprechung, die Erhebung zu den Altären, für gut geheißen. Sie werden als Vorbilder, als Modelle christlichen Glaubensvollzugs hingestellt. Das einfache Volk bewundert die Heiligen und geht sie um Wunder und Fürbitten an. Helfer in schwerer Not zu sein, scheint bislang die Hauptaufgabe der Heiligen gewesen zu sein. Aber wie steht es nun damit, dass sie unsere Vorbilder sein sollen? Kann ein Mensch, der wach in unserer Zeit steht, eine Gestalt aus dem Mittelalter als Modell seiner Lebensgestaltung annehmen? Vieles sträubt sich da in uns. Es ist nur dann möglich, wenn die Darstellung ihrer Lebensgeschichte den Charakter des von vorneherein Legendären, „Mystischen“ und Unwirklichen verliert. Allzu schnell war man in den Lebensbeschreibungen mit dem wunderbaren Eingreifen Gottes bei der Hand, man sprach von Berufung durch Gott, ohne die menschlichen Seiten und persönlichen Entwicklungen genauer ins Auge zu fassen. Damit wird vielen, die diesen Anruf nicht im gleichen Ausmaß spuren, der Mut genommen. Innere Vorgänge in den Heiligen, die auch Menschen mit Gefühlen und Leidenschaften waren, lassen sich durchaus auch mit psychologischen Methoden beschreiben und verstehen. Der Versuch kann mit der Arbeit verglichen werden, den Hergang der Schöpfung naturwissenschaftlich durch den Begriff der Evolution zu erklären. Wie das naturwissenschaftliche Ergebnis den Glauben an den Schöpfer nicht zu erschüttern braucht, genauso wenig soll das Aufzeigen psychologischer Gesetzmäßigkeiten in ebensgeschichtlichen Entwicklungen der Heiligen das Eigentliche, ihre Nähe zu Gott, wegerklären, sondern noch deutlicher machen.

Die Heiligen verkörpern zweifellos außergewöhnliches christliches Leben. Aber da ist neben den anziehenden und liebenswürdigen Seiten soviel Widersprüchliches und Unbegreifliches. Deshalb haben wir große Mühe, sie zu verstehen, das heißt, das innerlich und auch äußerlich nachzuvollziehen, was in ihnen vorging. Man denke an die Liebe des hl. Franziskus zu den Tieren und an die barbarische Härte, mit der er Bruder Esel, seinen Leib, behandelt hat. Viele junge Menschen fühlen sich von seiner Verachtung des bürgerlichen Wohlstands, von seinem Wagemut, angesprochen. Aber wie steht es mit der Enthaltsamkeit? Hört hier nicht bei einem großen Teil der begeisterten Aussteiger die Nachfolge auf? Irgendwie dämmert vielen Menschen unserer Zeit, dass ein einfaches, bewussteres Leben mehr an Qualität bringen kann als der satte Wohlstand. Aber ist es nicht so, dass man auf letzte Absicherungen durch die Wohlstandsgesellschaft wie moderne Krankenfürsorge und Alterssicherung doch nicht verzichten kann? Versuche, die Heiligen in unsere Zeit zu übersetzen, müssen über kurz oder lang scheitern, wenn nicht der tiefste Grund, aus dem die Heiligen ihre Entscheidungen getroffen haben und dazu gestanden sind, erkannt, erfasst und lebendig wird.
Was ist nun dieser tiefste Grund, aus dem die Heiligen ihre Lebensfreude bezogen haben?
Lässt sich darüber etwas Psychologisches aussagen oder muss man die Dinge einfach dem Glauben überlassen? Im Menschenbild Sigmund Freuds ist diese Quelle nicht zu finden, wohl aber in dem von C. G. Jung und den Vertretern der Personalen Psychotherapie (Johanna Herzog-Dürck) und der Existenzanalyse (Ludwig Binswanger). Diese Richtung nimmt die Tatsache ernst, dass der Mensch nicht nur aus seinen biologischen Antrieben, dem Macht-, Sexual- und Besitzstreben lebt, sondern aus einem geistigen Urgrund. Er ist eine seelische Wirklichkeit, die stärker und intensiver sein kann als alle anderen Antriebe. Jung spricht vom Archetyp des Selbst, als den mächtigsten Erlebnisfaktor, der alle anderen Antriebe einbindet und ordnet. Das bedeutet:
Ein Mensch, der davon ergriffen ist und daraus lebt, ist ganz er selbst und mit sich ganz im Reinen Die Heiligen waren es. Wer sie verstehen will, muss diesen Urgrund in sich erschließen.

I. Franziskus von Assisi

1.Kurzer Abriss seines Lebens

Bevor der innere Werdegang des Heiligen genauer betrachtet werden kann, ist zunächst ein kurzer Überblick seines Lebens erforderlich. Sein Geburtsjahr ist 1182, seine Eltern heißen Pietro und Pica Bernardone. Der Vater ist wohlhabender Tuchhändler in Assisi. Folgende wichtige Ereignisse aus der Geschichte der Stadt fallen in seine Jugendzeit: 1200 erheben sich die Bürger Assisis gegen den kaiserlichen Vogt und die Adeligen. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und hat wahrscheinlich den Wunsch nach weiterem Kriegsruhm beim jungen Franziskus ausgelöst. 1202 jedoch erleiden die Einwohner Assisis eine schwere Niederlage im Krieg gegen Perugia. Franziskus gerät in Gefangenschaft, von der er ein Jahr später losgekauft wird. Sein Ehrgeiz ist jedoch noch nicht gebremst. Sich bei nächster Gelegenheit einem Heer anzuschließen, im Kampf Auszeichnung zu holen und schließlich in den Ritterstand aufzusteigen scheint ihm lohnendes Lebensziel zu sein. Erst eine Krankheit 1204 zwingt ihn zum Umdenken. Er wird seines bisherigen Lebens nicht mehr recht froh. Zu gleicher Zeit öffnen sich für ihn neue beglückende …………………………………….

2.Vom „normalen“ Menschen zum Ordensgründer und Heiligen

Franziskus hat sich innerhalb von fünf Jahren von einem an die Zeitströmung angepassten jungen Mann zu einem Menschen gewandelt, der eine dem Empfinden seiner Umwelt völlig entgegen gesetzte Lebensauffassung vertritt: Leben in vollständiger Armut, ohne Ansehen, ohne die Geborgenheit in Partnerschaft und Familie, Pflege der Aussätzigen. Und für diese Lebensweise gewinnt er laufend neue Freunde. Was hat diesen inneren Prozess ausgelöst, was hat ihn bewogen, vielleicht sogar gezwungen, »anormal« zu werden? Folgende Faktoren lassen sich für die innere Wandlung bei allen großen Gestalten ausmachen; sie scheinen für jeden Selbstwerdungs- und Individuationsprozess gültig zu sein:

    1.Ein Mensch gerät in eine Lebenskrise, die geprägt ist durch einen Leidensdruck. Es kann ein schleichender   Prozess oder eine Erschütterung durch einen schweren Schicksalsschlag sein. Das Leben geht nicht mehr so wie bisher weiter.
    2.Man ist mit sich selbst beschäftigt. Die Arbeit fällt einem schwer und gelingt kaum noch..............
Man kann nicht mehr in das „normale“ Leben zurückkehren und so sein wie früher. Ein neues Lebensgefühl entsteht. Es ist wie ein inneres Erwachen und zeitweiliger Bruch mit seiner Umgebung. Die psychische Energie wird von der äußeren Aufgabe und den Beziehungen mit der Umwelt nach innen gelenkt. Dies bewirkt dass man sich von bisherigen Bezugsgruppen ob Familie oder Freundeskreis löst und deren Erwartungen nicht mehr erfüllt. Es kann zugleich Isolation und Verlassenheit bedeuten. Damit wird neuer Leidensdruck erzeugt. ......................

Der Kern der Persönlichkeit wird spürbar - tiefenpsychologisch ist es der Archetyp des Selbst der in das Bewusstsein tritt und die Führung der Seele übernimmt. Das Ich mit seinen Ansprüchen des Habenwollens tritt zurück.
    6.Dieser Vorgang ist nicht sofort abgeschlossen, sondern immer wieder kommen die Strukturen des alten Bewusstseins durch und erfordern neue Aufmerksamkeit und Kämpfe. Erst nach und nach tritt Klarheit ein.
    7.Zum Abschluss dieses Prozesses können Worte der hl. Schrift und Glaubenswahrheiten in ihrer ganzen Bedeutungstiefe aufgehen, weil sie dem gewandelten Erlebens- und Denkrahmen des Betroffenen entsprechen. Auch die äußere Welt, Menschen und Natur, erscheinen in einem neuen Licht.
    8.Nach Ende dieses Prozesses kann sich der so Gewandelte wieder seiner Umgebung zuwenden, aber als ganz Neuer. Dies bringt einerseits Schwierigkeiten bei Freunden und Verwandten mit sich; er entspricht nicht mehr ihren bisherigen Erwartungen. Wir dürfen an die Rückkehr Jesu in seine Heimat denken, wo er von seinen Landsleuten abgelehnt wird. Er bringt die Situation mit den Worten zum Ausdruck: „Kein Prophet gilt etwas in seiner Vaterstadt“ (Lukas 4, 24). Andererseits ist ein solcher Mensch fähig, die Welt, der er begegnet, aus einer ganz anderen Dimension heraus zu gestalten.
     9.Der Prozess lässt sich beschreiben als eine Wende des Bewusstseins, als radikales Umdenken, als Umkehrung der Motivationen, als Leben aus einer neuen Dimension. In der hl. Schrift ist von Wiedergeburt, von Tod und Auferstehung und von neuem Leben die Rede.
Lassen sich nun die angeführten Punkte auch in der Lebensgeschichte des hl. Franziskus finden?
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Im ersten Traum wird Franziskus von einer Stimme gerufen und in ein herrliches Schloss geführt. Darin hängen Waffen und Schilde an den Wänden, als ob sie darauf warteten, dass er sie nimmt und in den Kampf zieht. Schließlich wird ihm gesagt, dass das Schloss ihm gehören werde. Franziskus versteht die Aussage zunächst ganz wörtlich. Er hatte sich bereits einem Kriegszug angeschlossen und im Traum sieht er die Bestätigung seines Ehrgeizes. In der nächsten Nacht ist es ihm, als ob jemand zu ihm sagte: „Wer kann dir mehr geben, der Herr oder der Knecht?“ Franziskus antwortet: „Der Herr“. „Weshalb verlässt du dann den Herrn dem Knecht zuliebe?“ Die Stimme sagt ihm weiter, dass er den ersten Traum anders verstehen und nach Assisi zurückkehren müsse. Franziskus verlässt das Heer, reitet nach Assisi zurück und gibt das Vorhaben, Ritter zu werden, endgültig auf.
In einer zunächst ebenfalls wörtlich verstandenen Vision in der Kirche St. Damiano erhält er vom Herrn den Auftrag, seine Kirche wieder herzustellen. Wegen des dafür verwendeten väterlichen Geldes kommt es zum Konflikt mit dem Vater und er wird enterbt. Franziskus, der Sohn des reichen Kaufmanns bettelt schließlich in Assisi für die Kirche Steine und für sich das Essen. Von den Leuten wird er für verrückt gehalten. Nicht nur, weil er so unmögliche Dinge tut, sondern offensichtlich auch wegen seines Aussehens. Sein Blick ist abwesend, nach innen gewandt, er freut sich über etwas, was seinen ehemaligen Freunden unverständlich ist. In dieser Phase des Prozesses......................