Gedanken zum Palmsonntag


Sich neu orientieren

Anregungen zur Umkehr

 1

Aus der Pastoralen Konstitution Gaudium et Spes - Über die Kirche in der Welt von heute

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“ (GS1,1).

Die Aufgabe der Kirche besteht darin:

1.Die Angst zu mindern

2.Freude und Hoffnung zu mehren

3. der Weg dazu: die Trauer anzunehmen und  zu verarbeiten:

Inwieweit die Kirche diese Aufgabe erfüllt, sei ein Zitat von Eugen Biser angeführt: Was den heutigen Menschen am Glauben irre macht, ist tatsächlich schon längst nicht mehr die Frage nach der Urzeugung oder Tierabstammung des Menschen, sondern die Unfähigkeit der Kirche, auf seine Sorgen verstehend  einzugehen, seinem vielfach frustrierten Glücksverlangen entgegenzukommen und ihm in seiner Überforderung, Vereinsamung und Lebensangst einen Raum des Aufatmens, der Solidarität und der Geborgenheit zu bieten.“ (Eugen Biser, Glaubensverständnis, Freiburg 1975, 132).

Eugen Biser gehört zu den bedeutendsten Theologen der letzten Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum. So haben wir guten Grund, seine Kritik auf uns wirken zu lassen und sie als kurz gefasste Bußpredigt anzunehmen.

 

 

2

Der verlorene Glanz der Nachfolge

oder der Eifer in der Sackgasse.

Wenn einer mir nachfolgen will, so verleugne er sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und so folge er mir nach“ (Matthäus 16,24).

Das Wort Jesu von der Selbstverleugnung hat wohl am meisten die Einstellung zur Nachfolge geprägt. Viele Männer und Frauen, deren Ernst und Einsatz man nicht anzweifeln kann, haben es zu leben versucht, in einem Orden, in der Familie oder einfach im Dienst an Armen und Kranken. Aber warum hat dieser Lebensentwurf seine Anziehungskraft verloren? Liegt es nur an einer kritischen, hedonistischen, am Genuss orientierten Öffentlichkeit?

Das Christentum der ersten Jahrhunderte hatte die Kraft, die geistige Atmosphäre des römischen Reiches mit seinen unvorstellbaren Gräueln zu überwinden. „Die Schaffung einer neuen Menschenart“ bezeichnet der Pastoraltheologe Klostermann die Leistung der frühen Kirche. Heute sind die geistigen Strömungen außerhalb der Kirche wesentlich stärker. Anstatt Sauerteig zu sein, hat man große Mühe, sich noch zu behaupten. Man kann dem Sog von außen kaum etwas Gleichwertiges entgegensetzen.

So ist es berechtigt, danach fragen, ob bei der real gelebten Nachfolge das herausgekommen ist, was Jesus und der heilige Franziskus gemeint und gelebt haben? Kann Selbstverleugnung als solches überhaupt das Motiv eines Lebensentwurfes sein, wo doch gerade in der therapeutischen Arbeit Selbstwerdung Heilung bedeutet?

Selbstverleugnung gilt gewöhnlich als Ausdruck der Überwindung der eigenen egoistischen Wünsche und Bedürfnisse, als Beherrschung der spontanen Impulse vor allem der Sexualität, des Zorns und des Neids, der Ablehnung anderer. In einem ganz radikalen Sinn wurde Selbstverleugnung als ein totales Absehen von sich selbst verstanden. An seine Stelle müsse die bedingungslose Hingabe an die Armen, Kranken und Hilfsbedürftigen treten.

Man hat durchaus viel für die Hilfsbedürftigen geleistet, aber - so lautet der kritische Einwand - man vermisst bei denen, welche sich ernsthaft selbst verleugnen, eine Atmosphäre spontaner Herzlichkeit, echten Verstehens, gegenseitiger Anziehung und Achtung, eine Ausstrahlung, die von einem erfüllten Leben Zeugnis ablegen würde, genau den Punkt, der den Heiligen aus Assisi so liebenswert gemacht hat.

Wenn dem so wäre, wären unsere Kirchen, Ordenshäuser und Priesterseminare gefüllt. Für viele hat es  den Anschein, dass das Evangelium nur Entsagung und Einengung bedeute.                                                                                                                

Die Rückseite der Ideale

Der Versuch, das ganze  Leben unter die hohen Ziele zu stellen, hat eine nicht leicht erkennbare Rückseite. Das heißt, wir müssen mit Strebungen in uns rechnen, die dem hohen Ideal entgegenstehen und zunächst nicht wahrgenommen werden. Es sind die ganz natürlichen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, nach Nähe, nach Besitz, nach Anerkennung, nach erotischer Erfüllung, nach einem Daheimsein. Mitten darin wirken noch die Wunden der eigenen Lebensgeschichte, welche die Energien in die verkehrte Richtung leiten. Es sind „die Finsternisse des Herzens“, um deren Erhellung Franziskus gerungen hat. Auch Jesus hat das verfinsterte Herz im Auge, wenn er es bei dem Streit um kultische Reinheit für die eigentliche Unreinheit verantwortlich macht  (Vgl. Mt 15,18-20).

So erlahmt im Laufe der Jahre der Schwung des Anfangs und es wird auf die Dauer mühsam. Eine hohe Norm erzeugt auch einen enormen Druck, der von der Freiheit und Großzügigkeit eines Franziskus nichts mehr an sich hat. Sehr häufig bleiben vom großen Ideal trotz äußerlich durchgehaltener Treue nur Erstarrung und Ideenlosigkeit.

Es mag vieles an den Vorwürfen, die aus Verletzungen und enttäuschten Erwartungen kommen, übertrieben sein, aber gerade die Kritik von außen kann zu einem tieferen Verständnis führen. Statt die Kritik entrüstet zurückzuweisen, würde es  weiterhelfen, genauer hinzuschauen, was daran richtig ist. Dies wäre echte Selbstverleugnung und der erste Schritt zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung. Wer dagegen in der Abwehr und im Gekränkt Sein stecken bleibt, tut sich und anderen nichts Gutes. Die Aufgabe bleibt, mit Selbstkritik und Umsicht immer neu die Kraft für ein erfülltes Leben zu erschließen. Der entscheidende Punkt ist, ob es gelingt, den zündenden Funken zu wecken als das Feuer, das ständig weiterbrennt.

 

 3

Nicht Imitation sondern Inspiration.

Das Wesen dessen, was der heilige Franziskus und ungezählte andere in der Nachfolge Jesu gelebt haben, wird beschrieben als die Nähe zu Gott, die Nähe zu den Geschöpfen, die Nähe zu allen Menschen ohne die Grenzen der Religion und Kultur, die Kraft der Versöhnung, Heiterkeit des Herzens, die Freude am Dasein, keine Angst vor dem Tod. Mit modernen Worten ausgedrückt könnte es lauten: 

Echtheit, Authentizität, Furchtlosigkeit, Freiheit von Ängsten (Bruder Tod), Ursprünglichkeit, Ausstrahlung, Überzeugungskraft, Skepsis gegenüber äußeren Autoritäten, dagegen Vertrauen auf die innere Autorität, Originalität, Spontaneität, Tiefe des Spirituellen, Einfühlungsvermögen, Einheit mit dem Kosmos, numinose  Naturverbundenheit. Es sind Eigenschaften, die der amerikanische Psychologe Carl Rogers als Kennzeichen des Neuen Menschen anführt.

Damit stellt sich die Frage: Wie können wir uns diese Tugenden aneignen? Heißt Nachfolge, es einfach so zu machen wie er, das heißt ihn nachahmen?

Was den heiligen Franziskus so liebenswert und bewundernswert macht, ist eben nicht die Nachahmung (Imitation) eines fremden Vorbildes, sondern seine Originalität und Spontaneität, sein Sinn für das Richtige und Gute im Augenblick. Sein Lebensstil ist das Gegenteil von Routine und ausgetretenen Wegen, von abgegriffenen Schablonen und ausgelaugten Formeln.

Er überrascht mit seinen Einfällen. Er sagt und tut Dinge, die man nicht erwartet, die aber aus einer übergroßen Kraft und Überlegenheit kommen. Es sind meist Situationen, die zunächst Verlegenheit auslösen und als peinlich erscheinen. Als er von seinem Freund, dem Kardinal Hugolino zu einem Festessen eingeladen ist, spürt er, dass eine üppige Tafel nicht seiner Überzeugung von Armut entspricht. So geht er vorher zum Betteln, bringt einen Sack mit altem Brot mit und gibt „mit heiterem Gesicht“ jedem der vornehmen Herren ein Stück. Für den Heiligen ist ein Stück Brot, das aus Liebe zu Gott gegeben wurde, eine größere Kostbarkeit als das feinste Menü. Gerade jene Episoden aus dem Leben des Heiligen, die wir als originell, herausragend einmalig, sogar als heroisch empfinden, können wir nicht nachahmen. Es würde einfach nie gelingen. Wir müssen unsere eigene Originalität finden. Das innere Feuer muss entzündet und entsprechend gepflegt und kultiviert werden, noch bevor man sich die edlen Taten vornimmt.

Die Kraft und die Ausstrahlung des franziskanischen Ursprungs, sind mit der bloßen Verpflichtung auf seine Worte und Regel nicht zu haben. Das heißt also die Imitation verstanden als Nachahmung kann es nicht schaffen.

Es braucht deshalb primär die Inspiration, das heißt uns von ihm inspirieren lassen, wie wir unseren eigenen Weg finden, dass wir wie er auf Träume und Eingebungen achten und so wie er unser Eigenstes suchen. Erst die Frische der Neuheitserfahrung öffnet den Zustrom lebendiger Ideen und vermittelt die Kraft, den Auftrag Jesu auszuführen. Die Nachfolge Jesu beginnt nicht bei den großen, bewundernswerten Taten, die uns dann doch überfordern, sondern bei der Hinwendung zur eigenen Mitte, zu dem Punkt, wo man Gott, sich selbst und den Menschen nahe ist. Die so häufig angemahnte Umkehr ist die Wende von außen nach innen, von äußeren Plänen zu einer inneren Entwicklung.                                  

Trauer als Weg:

Kommen wir zurück auf die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute und auf die Kritik Eugen Bisers, der die Unfähigkeit der Kirche, den Menschen in ihrer seelischen Not beizustehen, beklagt. Die vermisste Fähigkeit fällt mit dem, was als Wesen der Nachfolge bezeichnet wurde, zusammen. Wer sie erwerben will, muss sich in einen Prozess der Wandlung einlassen. Er beginnt dann, wenn man die eigene Not einmal anschaut und sie zum Thema macht. Nicht erhöhte Anstrengung, sondern emotionale Entlastung öffnet den Weg nach innen.

Wer sich diesen Fragen auszusetzt, in dem werden Gefühle aus einer tieferen Schicht der Seele aufsteigen, die sehr schmerzlich sind. Es ist kein Unglück, wenn jemand dabei die Fassung verliert. Weinen befreit. Tränen sind ein Anzeichen dafür, dass sich etwas sehr Mächtiges in einem bewegt. Die Eigentätigkeit der Seele erwacht. Angestaute Energien können wieder fließen, aber in eine Richtung, die ihnen bisher verwehrt war. Nach einer solchen Erfahrung in einer therapeutischen Sitzung gehen Personen gelöst, befreit und heiter weg. Es ist das eingetreten, was bei Ezechiel verheißen ist: „Ich schenke euch ein neues Herz“ (Ez 36,26). Es bewahrheitet sich der Satz des Philosophen Spinoza: Gefühle werden nicht durch Vernunft und Wille sondern nur durch stärkere Gefühle verändert. Es beginnt eine Neu - Orientierung nicht auf Grund eines guten Vorsatzes  - „Nicht auf Grund der Werke“ sondern eines angestoßenen Prozesses, theologisch gesprochen: auf Grund der Gnade. Ausdrücklich schildert Augustinus diesen Vorgang in seinen Bekenntnissen:

Jetzt aber, da meine grabende Selbstschau aus dem ge­heimen Grunde mein ganzes Elend hervorgebracht und dem Herzen zum Anblick gehäuft hatte, erhob sich der schwere Sturm, der einen schweren Regen von Tränen brachte“ (Conf.VIII). Im Anschluss daran hört er eine Stimme, die ruft: Nimm und lies! Er schlägt die Stelle im Römerbrief auf: "Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Zank und Neid, vielmehr ziehet an den Herrn Jesus Christus und pfleget nicht das Fleisch in seinen Lüsten“ (Röm 13,12). Weiter schreibt er: Kaum war dieser Satz zu Ende, da strömte mir Gewissheit ins kummervolle Herz, dass alle Nacht des Zweifels hin und her verschwand.“