29. Sonntag im J.BRecht haben oder recht sein
10Der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen.11Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Markus In jener Zeit 35traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.36Er antwortete: Was soll ich für euch tun?37Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen.38Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? 39Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.40Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.41Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.42Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.43Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,44und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.45Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Recht haben oder recht sein Der Streit der Jünger, zur Rechten und zur Linken Jesu zu sitzen, scheint uns heute wenig zu berühren. Schauen wir aber genauer hin, dann wird ein Problem offenbar, das die Leidenschaften zu allen Zeiten aufgewühlt und bis heute ungelöst ist. Die Spaltungen, Zerwürfnisse, Streitigkeiten unter den Jüngern Jesu lassen sich fast immer auf die Frage zurückführen: Wer ist der erste? Dabei gilt meist eines: Der erste ist der, welcher Recht hat. Dieses Recht haben ist deshalb so wichtig, weil dadurch die Höhe der Intelligenz zum Ausdruck zu kommen scheint. Man glaubt, damit die erste Position in der Achtung aller zu bekommen. So versucht man, den andern mit Argumenten nieder zu ringen und als Sieger das Feld zu behaupten. So duldet man keine andere Überzeugung neben sich und man schließt die Denkweise, die Gefühle und die berechtigten Anliegen anderer aus und damit alle, die sie vertreten. Die Spaltungen im Raum des Christentums sind zum größten Teil Ergebnisse von Streitereien, die sich im Nachhinein als Missverständnisse und damit als Kampf um den ersten Platz erwiesen haben. Der verlorenen Einheit tut man einen besseren Dienst, wenn man versucht, einander zu verstehen. Wir müssen zunächst zugeben, dass nichts berechtigter ist, als zu seiner Überzeugung zu stehen. Die eigene Sicht der Wirklichkeit ist aber begrenzt durch unsere persönliche Geschichte, durch die erhaltenen Informationen, durch unsere Sympathien und Antipathien und durch unsere Ängste. Deshalb ist unsere Meinung nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Um die ganze Wahrheit zu erfassen, braucht man auch die Sicht anderer. Sie kann die eigene Anschauung ergänzen das heißt ganz werden lassen. Dies geht aber nur in einem Klima, das von der Suche nach der Wahrheit und nicht vom verkrampften Recht haben bestimmt ist. Wer jedoch glaubt, allein die Wahrheit zu besitzen, wird Opfer der eigenen Emotionen und Ängste, die den Blick für die Wahrheit verstellen. Hier findet die Mahnung Jesu: „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein"(Mk10,43) ihren Ort. Es geht nicht darum, wer bei Tisch aufträgt und dann das Geschirr wäscht, sondern darum, sich selbst ein Stück zurückzunehmen, auf die Alleinherrschaft der eigenen Meinung und Stimmung zu verzichten und die Überzeugung der andern zu respektieren. Entscheidend ist, dass man einander die Freiheit der eigenen Lebensgeschichte und Entscheidungen lässt und aufhört, Druck auszuüben. Wenn man beginnt, einander ernst zu nehmen, ist das für jede Seite ein Gewinn. Denn die Reibungspunkte mit weltanschaulichen oder kirchenpolitischen Gegnern zeigen uns die Anteile von uns selbst auf, die uns zur vollen Wahrheit unserer Persönlichkeit , zum Recht- sein noch fehlen und sei es „nur" der Mangel an Toleranz, an geistiger und emotionaler Eigenständigkeit. Wenn die Wahrheit das Ziel allen Bemühens wird und nicht die eigene Position, dann tritt eine durchgreifende Wende im eigenen Leben und in dem vieler anderer ein. Wer so denkt, wird sich von einer anderen Weltanschauung und von einer anderen Religion oder theologischen Richtung anregen und bereichern lassen, anstatt verbissen die Gegenseite widerlegen zu wollen.Denn es führt uns zum Recht sein, zu der Einstellung, die Jesus selbst gelebt hat und die er als „dienen" bezeichnet. „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele"(MK10,43). Lieber recht sein als Recht haben ist die Lösung auf die immer neu auftauchende Frage: „Wer bin ich?" Wer alles Streben auf Recht haben, auf Titel und Position in der Öffentlichkeit sprich Karriere setzt, merkt nicht, wie sehr er sich von der Einschätzung anderer abhängig macht und sein Eigenstes übergeht. Wer hingegen recht - sein will, bezieht sein Selbstwertgefühl aus dem tiefsten Grund seines Herzen, in dem er Gott begegnet. Er macht sich unabhängig von dem, was die Leute sagen. Es ist die Einstellung, an der die Echtheit der Nachfolge Christi gemessen werden kann. Hier dürfen wir uns wieder das große Vorbild des heiligen Franziskus vor Augen halten. Als er seinem Vater Geld und Kleider vor die Füße wirft und seine Sohnschaft aufkündigt, ist er in den Augen der Leute ein Niemand. Er ist nicht mehr der Kaufmannsohn, vor dem man wegen des Vaters Respekt hat. Er ist kein Handwerker, kein Kleriker, kein Mönch, er ist der Letzte in der Stadt, über den man sich lustig macht. Aber er ist ganz er selbst, Franziskus, völlig unabhängig von dem, was die Leute denken und reden. Ihn kann nichts mehr anhaben, weil er von einer unsagbaren, inneren Stärke, von Dankbarkeit und Freude erfüllt ist. Aus der Begegnung mit Christus hat er die Kraft, über den alltäglichen Emotionen zu stehen, sogar über Leid und Tod. Er ist beständig zum spontanen Lob gestimmt und kann in seinen Schmerzen jubeln. Sein Leben drückt das aus, was mit recht-sein gemeint ist. Völlig fremde Personen sammeln sich um ihn, weil sie von dem demselben Geist ergriffen werden. Es bildet sich eine Gemeinschaft, in welcher eine Stimmung der Achtsamkeit, der Rücksichtnahme, der Danksagung und des Lobgesangs herrscht. Es ist die Gleichheit aller Wirklichkeit geworden, hervorgerufen durch die gemeinsame Erfahrung der Kraft Christi. Der Rangstreit der Jünger, der sich heute in den gegensätzlichen kirchenpolitischen Richtungen darstellt, wird nicht durch gestochene Argumente, nicht durch bittere Anklagen und krampfhafte Verteidigung, nicht über Autoritäten gelöst, sondern ob wir den Schwerpunkt auf recht-sein legen und uns vom Geist Jesu ergreifen lassen.
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