Arra
Die Auferstehung Jesus- nur ein Mythos?
Mythen - die gefährlichen Zweifel
In einem Gespräch des „Spiegel" mit dem evangelischen Exegeten Lindemann wird dieser mit der Behauptung konfrontiert, dass die „Kunstfigur" Christus, die es nur in der Bibel und im Glauben der Christen gebe, ohnehin ein Mythos sei, selbst wenn dieser Mythos einen Bezugspunkt zu einem Menschen namens Jesus habe. Die Antwort des Professors klingt sehr gewunden. Die Vertreter des Nachrichtenmagazins kommen mit der Absicht, zentrale Bibelberichte über Jesus zu nach ihrer historischen Wahrheit verifizieren oder zu falsifizieren und fragen nach dem Urteil des Exegeten, der die historisch-kritische Erforschung der Bibel vertritt..
Dem fallen die Jungfrauengeburt, neben vielen Reden Jesu die Einsetzung des Abendmahls, die Osterberichte und die Himmelfahrt Jesu zum Opfer. Trotz allem steht Lindemann zur Auferweckung Jesu durch Gott. Die Auferstehung Jesu sei kein historisches Ereignis. Historisch sei nur, dass es Menschen gab, die behaupteten, dass Jesus lebe. Am Schluss wird ihm die Frage gestellt: „Reicht Ihnen als Basis für Ihren Glauben die Behauptung von Menschen, was sie erlebt haben?" Seine Antwort lautet: „So ist es". (1)
Die skeptischen Leser fühlen sich in ihrer Ablehnung des Christentums bestätigt. Auf die Behauptung von einigen Leuten vor 2000 Jahren könne man ja schließlich keine Überzeugung aufbauen. Das widerspreche einfach jeder intellektuellen Redlichkeit.
Gläubige Christen werden durch solche Aussagen in Verlegenheit und Ratlosigkeit gestürzt; sie empfinden ihren Glauben an einem sehr dünnen Faden aufgehängt. Die Angst geht um, dass sich der Glaube letztendlich als nebulöses, unwirkliches Gebilde erweisen könnte. Im genannten Spiegelartikel wird Walter Kasper zitiert, der in seinem Buch „Jesus der Christus" vor dem Mythos warnt.
In kirchlichen Kreisen misstraut man eher der historisch-kritischen Forschung und kann deren Ergebnisse kaum in das traditionelle Glaubenssystem einordnen. Es hat den Anschein, als ob die Festung des Glaubens immer mehr abbröckle, andererseits für kritisch Denkende unzugänglich sei.
Was ist ein Mythos?
Nach der Brockhaus-Enzyklopädie wird unter Mythos die Erzählung von Göttern, Heroen und anderen Gestalten und Geschehnissen aus vorgeschichtlicher Zeit verstanden; ebenso die sich darin aussprechende Weltdeutung eines frühen (mythischen) Bewusstseins. Als weitere Bestimmung wird angeführt: Er ist das Resultat einer sich auch noch in der Moderne vollziehenden Mythisierung („neue Mythen") im Sinne einer Verklärung von Personen, Sachen, Ereignissen oder Ideen zu einem Faszinosum von bildhaftem Symbolcharakter. (2) Wer glaubt in unserer aufgeklärten Zeit noch an Götter, Geister, Dämonen und Teufel? Mit großem Eifer hat man die so genannte Entmythologisierung der Bibel betrieben und alles, was nicht in das moderne Weltbild passt, gestrichen. Aber sind wir wirklich so aufgeklärt? Wissen wir, wovon wir uns bestimmen lassen?
Die wenigsten merken, dass sie Mächten, die früher Dämonen, Geister und Götter hießen, recht willig gehorchen und sich von irrationalen Motiven leiten lassen. Die alternative Gesundheitspraxis lebt vom Mythos der ewigen Jugend, die ganz normale Medizin vom Mythos des Medizinmanns, der Mythos vom goldenen Zeitalter lockt zu Experimenten mit Ungeborenen, der Mythos des Helden treibt Millionen in die Fußballstadien und vor den Fernsehschirm. Die Verführung der Menschen durch die Nazis wäre ohne den altgermanischen Mythos nicht möglich gewesen.
Nicht nur jedes Volk und jede Zeit, jeder Mensch hat seinen Mythos; entscheidend ist, ob wir uns seiner bewusst sind. Helden und Göttersagen interessieren heute weniger, wohl aber eine dahinter stehende Weltdeutung, die ungefähr so lautet: Es gibt eine Wirklichkeit, die noch vor meinem Dasein, meinem Denken und Entscheiden liegt, ein umfassendes Größeres, das „mich denkt", meine Gefühle anregt, meine Entscheidungen beeinflusst oder sogar bestimmt. Im Brockhaus-Artikel wird die Frage offen gelassen, ob Mythos nur Fiktion und Ausdruck kindlich-primitiven Denkens ist, das vom aufgeklärten Bewusstsein überwunden wird oder ob er eine der modernen wissenschaftlichen Vernunft unerreichbare tiefere Weisheit in sich birgt.
Nach Jung ist der Mythos keine Fiktion, sondern besteht in beständig sich wiederholenden Tatsachen, die immer wieder beobachtet werden können. Er ereignet sich am Menschen, und Menschen haben mythische Schicksale so gut wie griechische Heroen( GWBd11, 648).Mythen sind im tiefenpsychologischen Sinn energiegeladene Bilder von unbewussten Faktoren und Mustern des Erlebens und Verhaltens. Bestimmte Erzählungen, mythologische Bezeichnungen, auch Symbole genannt, faszinieren und rufen Emotionen wach, weil sie auf die schon bereitliegenden Faktoren treffen.
Zunächst denken viele beim Thema österlicher Mythos an Osterhasen und Ostereier. Es sind Bilder der Fruchtbarkeit. Im Grunde ist dann Ostern nichts als ein überhöhter Fruchtbarkeitsritus, der bei anderen Kulturen schon immer gefeiert wurde.
In dem von C.G.Jung veröffentlichten Buch "Der Mensch und seine Symbole"(1) lesen wir:"
Die Kreuzigung Christi am Karfreitag scheint auf den ersten Blick demselben Muster der Fruchtbarkeitssymbolik anzugehören, die man in den Riten anderer Erlöser findet, wie etwa die von Osiris, Tammuz, Orpheus und Baldur. Auch sie waren göttlicher und halbgöttlicher Abstammung, wuchsen heran und wurden getötet und wiedergeboren".
Also kann man doch die Geschichte von Jesus, von dessen Tod und Auferstehung man in die Reihe der Mythen vom Sterben und Wieder belebt werden der antiken Götter stellen.
Nun aber ist doch ein entscheidender Unterschied. Die antiken Riten gehören zu zyklischen Religionen das heißt es wiederholt sich jedes Jahr dasselbe. Jedes Jahr stirbt der Gottkönig erneut und wird wiedergeboren.
Der Ritus vom Tod und Auferstehung Jesu hingegen feiert ein Ereignis, das einmal geschehen ist. Das Christentum unterscheidet sich von anderen Gott-Königmythen durch die Endgültigkeit des Auferstehungsbegriffes.
Paulus hatte den für alle bedeutsamen Charakter des Mysteriums, von dem er ergriffen wurde, erkannt und deshalb das Evangelium für die Heiden geöffnet. Was sich im ganz persönlichen Erlebnis eines einzelnen in der Tiefe seiner Existenz ereignet hat, wurde für Ungezählte von Bedeutung. So ist es bei Paulus, Franziskus und bei Frossard, der mit seinem Buch viele Herzen bewegt hat.
So sehr das Mysterium den intimsten Raum eines Menschen berührt, so individuell es ist, so sehr hat es aber auch die Kraft, nach außen zu wirken oder mit anderen Worten: So universal ist es. Ebenso paradox ist, dass diese drei Männer mit völlig verschiedenem geschichtlichem Hintergrund sich in der Tiefe des Geheimnisses doch ganz nahe sind. Sie werden in ihrer je eigenen Zeit in die Zeitlosigkeit eingetaucht.
Das Mysterium und die reine Lehre
Um die Geschichte des Paulus und des frühen Christentums zu verstehen, kann uns sogar die Kritik, die heute an ihm geübt wird, ein Stück weiter bringen. Man sieht im Apostel einen eigensinnigen, weltfremden Rabbi, der die schlichte und menschenfreundliche Botschaft Jesu verfälscht und den einfachen Mann aus Nazareth mit göttlicher Glorie umgeben habe. Es sei Aufgabe der Forschung, die ursprüngliche Gestalt und reine Lehre aus dem hellenistischen Beiwerk herauszuarbeiten. Aus einer jüdischen Reformbewegung habe man - ganz auf der Linie des Paulus - eine Mysterienreligion nach Art der antiken Kulte gemacht. Jesus selbst - so die Überzeugung der Forscher - wollte keine Religion stiften, vor allem hat er sich nicht als Sohn Gottes bezeichnet.
Zu diesem Ergebnis kommt man dann, wenn man die Schriften des Apostels als trockene Lehre betrachtet, die als besondere Variante der traditionellen Ansichten über das jüdische Gesetz zu betrachten sei.Dazu sei nur bemerkt, Wer hätte in einer heidnischen Umgebung in Korinth, Ephesus, Rom einem jüdischen Rabbi zugehört und sogar sein Leben danach ausgerichtet, wenn es nur um jüdische Streitfragen gegangen wäre?
Es wurde schon gesagt, dass seine Briefe wesentlich seine eigene Erfahrung wiedergeben und nicht als starre Formeln zu verstehen sind. Was er vermitteln will, ist primär nicht die richtige Lehre, sondern das Geschehen, das sich an ihm selbst vollzogen hat: Er wurde eingetaucht in den Erlebnisraum des gekreuzigten und auferstandenen Christus und damit in seinem ganzen Erleben und Denken verwandelt. Was der Mann aus Tarsus über Glauben und Rechtfertigung schreibt (Vgl. Röm 1-8), hat das eine Ziel, in den Lesern das, was sein eigenes Leben verändert hat, zu wecken. Er selbst drückt es so aus: „Meine Botschaft und meine Verkündigung war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mir dem Erweis von Geist und Kraft verbunden" (1 Kor 2, 4). Begriffe wie „Botschaft" und „Verkündigung" lösen heute bei den meisten Desinteresse oder Langeweile aus; zu verbraucht und abgenützt sind sie inzwischen geworden. Offensichtlich war es bei den Zuhörern des Paulus anders. Mit Sicherheit spürten sie etwas von dem großen Geheimnis, von dem er erfasst war, und wurden davon mitgerissen.. Das Erlebnis seiner umwerfenden Gottesbegegnung schwang in seinen Worten unmittelbar mit und es wurde gegenwärtig, wovon er sprach.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich Ergriffenheit und seelische Bewegtheit von selbst übertragen. Manche erinnern sich an Situationen, in denen der Vater mit Tränen von Kriegserlebnissen erzählte, und man eine Stecknadel hätte fallen hören. Paulus wusste um die Wirkung seiner Worte, die nicht auf geschliffenem Argumentieren beruhte, sondern auf der Eigendynamik des Selbsterlebten. Wenn nicht seine eigene Geschichte, die so dramatisch verlief wie kaum eine andere, in seinen Worten, in seinem Gesicht und in seiner Stimme Ausdruck gefunden hätte, wer hätte ihm wohl ernsthaft zugehört? Eine bloß theologische Doktrin über jüdische Streitfragen - welchen Nichtjuden hätte das in Korinth oder Ephesus schon interessiert? Was Paulus mit „Erweis von Geist und Kraft" meint, ist jenes Geschehen, das sich ohne sein unmittelbares Bemühen zwischen ihm und den Menschen ereignete.
Der Geist bringt Früchte (Gal 5, 22). Paulus nennt sie „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung" (Gal 5, 22,23). Damit ist eine Atmosphäre verbunden, wo man sich, aufgehoben und geborgen fühlt, wo Nähe entsteht und zugleich der Raum des einzelnen nicht eingeengt ist. Wer intensive Formen der spirituellen Selbsterfahrung kennt, dem dürfte das Gesagte nicht fremd sein. Entscheidend ist, dass solche Höhepunkte des Erlebens nicht durch irgendwelche geschickte psychologisch-fundierte Methoden, durch ekstatische Musik oder Bewegung entstehen, sondern am ehesten durch ein offenes und ehrliches Gespräch in der Runde. Zum Höhepunkt wird die Eucharistiefeier am Schluss. Es sind Momente, die den Teilnehmern äußerst kostbar sind. Mit Recht darf man sagen, dass hier das Mysterium, von dem Paulus spricht und das in den Anfängen des Christentums so bedeutend war, gegenwärtig wird und eigentätig wirkt. Niemand hat das Gefühl, dass er sich einer fremden Mysterienreligion unterworfen hat oder dass ihm im Nachvollzug des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, in seiner Anrufung als Kyrios eine unerträgliche Doktrin übergestülpt würde. Vielmehr hat jede(r) den Eindruck, ganz sie/er selbst sein zu dürfen und der Wahrheit des eigenen Lebens ein Stück näher gerückt zu sein. Die Forderungen von Professor Hoffmann „nach einem Gott, der dem modernen Menschen zur Seite steht und von dem er lernen kann, in Freundlichkeit mit seinen Mitmenschen umzugehen, nach einer Wahrheit, die hilft, in dieser Welt Würde zu leben", kann man in den Augenblicken einer gelungenen Eucharistiefeier als erfüllt ansehen. Oft sagen Teilnehmer: „Eine solche Stunde gibt wieder Sinn, dafür lohnt es sich zu leben!"
Am rechten Vollzug des Mysteriums erledigt sich die Frage der reinen Lehre von selbst. Andererseits verkommt eine Religion, die das Geheimnis der Gotteserfahrung nicht mehr kennt, zu bloßen sozialethischen Appellen. Sie kann den modernen Menschen nicht mehr aus seiner Sinnleere, Einsamkeit und Angst retten. Es sei noch einmal an den ungeahnten Aufstieg der Esoterik erinnert. Man darf vermuten, dass in den traditionellen Kirchen das Mysterium nicht den Stellenwert besitzt, den es als Quelle von Lebensbejahung und Sinn haben könnte.
Die vollständige Wandlung
Es kann nicht darum gehen, die Einfachheit der Wahrheit Jesu der Mysterienreligion seiner späteren Jünger entgegenzusetzen. Vielmehr ist es so, dass die hohen Lehren Jesu, die Forderung des selbstlosen Einsatzes, der Hingabe, des Gewaltverzichts und der Feindesliebe, der Umkehrung der Werte eine vollständige Wandlung eines in normalen Verhältnissen aufgewachsenen Menschen brauchen. Begeisterung und guter Wille erlahmen nach kurzer Zeit, Egoismus und Machtausübung kehren in versteckten Formen zurück. Man denke nur an die Geschichte der spirituellen Aufbrüche im Christentum, ebenso an die der sozialrevolutionären Bewegungen: Die alten, verkehrten Grundeinstellungen, gegen die man einmal mit großer Begeisterung angetreten ist, kommen mit großer Selbstverständlichkeit wieder, meist unter dem geheiligten Mantel religiöser oder politischer Doktrin. Man sollte sich über das Wesen des Menschen keine Illusion machen. Eine dauerhafte, durchgehende Umkehr zu Wahrhaftigkeit und Lauterkeit der Lebensführung, zu Selbstlosigkeit und Einsatz für die Mitmenschen wird niemand allein mit gutem Willen schaffen. Ohne die Erfahrung einer Kraft aus dem Bereich jenseits des Ich und des eigenen Vermögens werden sich die eingeschliffenen Strukturen des Denkens, Verhaltens und des Wert-Erlebens nicht verändern. Paulus nennt die Kraft, die seinem Leben eine andere Richtung gegeben hat, Gnade Gottes. Ohne sie gibt es keine „Gerechtigkeit", d.h. kein Rechtsein vor Gott und den Menschen. Weil sie nicht einer Planung und Kalkulation unterliegt und jeden menschlichen Horizont überschreitet, bleibt sie Geheimnis, Mysterium. Erst die Begegnung mit diesem schafft die Voraussetzung dafür, dass die edlen Ziele verwirklicht werden können, die in der Aussendungsrede Jesu und in der Bergpredigt aufscheinen.
Das Leben Jesu selbst ist nicht ohne Urerfahrung des Religiösen, d.h. nicht ohne das Mysterium zu denken. Nach den Berichten der Evangelisten Mathäus, Markus und Lukas unterwarf sich Jesus dem Ritus der Taufe durch Johannes. „Als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete" (Mk 1, 10). Erinnern wir uns an den Bericht von André Frossard, der davon sprach, dass der Himmel einstürzte und auf ihn zukam. Wir können den Bogen schlagen von einem Mann des 20. Jahrhunderts zurück zu Jesus selbst. Es soll deutlich werden, dass in der Heiligen Schrift etwas geschildert wird, das wie bei Frossard höchste existentielle Realität beanspruchen kann. Das vom französischen Journalisten berichtete Erlebnis dürfte nur ein Hauch gewesen sein im Vergleich zu dem, was Jesus widerfuhr. Während Frossard das Wort „geistliches Leben" vernahm, hörte Jesus eine Stimme, die sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden" (Mk 1, 11). Fühlen wir noch einmal nach, was der junge Mann in Paris über die kostbarsten Augenblicke seines Lebens sagte: die Gegenwart Gottes wurde evident, d.h. er erfuhr die Milde dessen, den die Christen „unseren Vater" nennen, eine Milde, die alle Gewalt übertrifft, die fähig ist, den härtesten Stein zu zerbrechen und sogar das menschliche Herz; dieser überwältigende Einbruch war von einem nicht beschreibbaren Jubel begleitet. Wir können dann vielleicht ahnen, was mit Jesus geschah; dass sein Leben eingetaucht war in den Grund allen Seins, dass menschliche Worte noch weniger als bei Frossard und Paulus das Erlebte nicht auszudrücken vermögen.
17. Die unglaublichste Geschichte: Die Auferstehung Jesu
Als die fundamentale Überzeugung der Christen gilt die Auferstehung Jesu. Sie ist zugleich die unglaublichste aller Geschichten. Dass ein Toter ins Leben zurückkehrt, sichtbar und greifbar wird, dass er redet und isst, das zu glauben erscheint als der absolute Verstoß gegen jede intellektuelle Redlichkeit. Zudem sind die Berichte von den Ereignissen nach dem Tod Jesu, vom leeren Grab und von den Erscheinungen so widersprüchlich, dass es unmöglich ist, daraus einen exakten historisch geschilderten Ablauf zu erschließen. Das Wichtigste von allem aber ist die Tatsache: Die Auferstehung Jesu, den Vorgang als solchen, hat niemand gesehen. Im „Arbeitsbuch zum Neuen Testament" von H. Conzelmann und A. Lindemann, das wohl den neuesten Stand der historisch-kritischen Forschung wiedergibt (22), heißt es denn auch, dass die Auferstehung Jesu kein historisches Ereignis sei. Gemeint ist damit, dass sie wie das Datum einer Schlacht oder die Gründung einer Stadt historisch nicht nachweisbar ist. „Historisch lässt sich nur feststellen, dass Menschen nach dem Tod Jesu ein ihnen geschehenes Widerfahrnis behaupteten, das sie als Sehen Jesu bezeichneten - und die Reflexion dieses Widerfahrnisses führte diese Leute zur Interpretation: Jesus ist auferweckt worden" (23).
Dies klingt recht ernüchternd für jeden Christen, der mit „Auferstehung" Osterfreude und Osterjubel verbindet. Vor allem das Wort „behaupten" ist geeignet, einem die bisherige Gewissheit zu rauben. Wir sollten beachten, dass die wissenschaftliche Sprache Gefühle und Stimmungen nicht berücksichtigt, sondern nur das äußerlich Feststellbare im Auge hat.Wenn gesagt wird, die Auferstehung sei kein historisches Ereignis, heißt das nur, dass sie mit den Methoden der historischen Forschung nicht nachgewiesen werden kann, nicht aber dass sie nicht stattgefunden hat. Eine wissenschaftliche Denkweise kann die Person Jesu nicht verstehen, noch weniger sein Anliegen, auch nicht das, was mit seinen Jüngern nach seinem Tod geschehen ist; denn zunächst handelt es sich um etwas äußerst Personales. Wir können die Auferstehung Jesu nur im Spiegel derer, die ihm persönlich nahe standen, seiner Jünger, sehen. Aber wir können diesen Spiegel durchaus näher betrachten und uns darüber Rechenschaft ablegen, ob wir uns auf ihn verlassen dürfen. Es geht um das Wort „Widerfahrnis", das nicht in den Rahmen der wissenschaftlichen Sicht passt, aber wie die subjektive Erfahrung von Liebe und Vertrauen, von Hass und Leidenschaft einen Anspruch darauf hat, als Wirklichkeit ernst genommen zu werden. Es muss sogar den Rahmen dessen sprengen, was Menschen gewöhnlich an Stimmungen und Gefühlen, an tiefen und wichtigen Erlebnissen zustößt. Sonst hätte die sogenannte „Behauptung" nicht die eigene Trauer und Mutlosigkeit überwunden und andere Menschen überzeugt. Es führt wieder in den Raum des Mysteriums.
Wer auf die Ausschließlichkeit der wissenschaftlich-rationalen Erkenntnisweise fixiert ist, wird allerdings davor Halt machen. Beim Thema des Mysteriums wurde bereits der Bogen von einem Zeugnis unserer Zeit zu Franziskus, Paulus und Jesus geschlagen. Wir könnten aus der Geschichte des Christentums noch viele andere anführen. Wir können sogar noch weiter gehen und die Gipfelerfahrungen anderer Religionen mitheranziehen. Zum Beispiel sind im Bereich der indianischen Welterfahrung die Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen nichts Außergewöhnliches. In den Büchern des amerikanischen Anthropologen Carlos Castaneda wird eine andere Wirklichkeit als die der europäisch geprägten Zivilisation dargestellt. Was immer man von seinen Erzählungen halten mag, Tatsache ist, dass sie mehr als ein Jahrzehnt Tausende faszinierten. Auf der Suche nach Informationen über den Gebrauch von halluzinogenen Pflanzen bei Indianern trifft er den Medizinmann Don Juan Matus. Er wird bald von dessen Lauterkeit, spiritueller Ausstrahlung und geistiger Überlegenheit so überzeugt, dass er sich in das indianische Schamanentum einweihen lässt. Schon die Augen des alten Indianers, die aus eigener Kraft leuchten, ziehen ihn an. Er gewinnt die Kraft, „seine eigene Geschichte zu löschen", weil die Dichte des indianischen Weges bisherige Sinnleere aufhebt, Er wird mit dem Tod konfrontiert und überwindet auf diesem Weg seine depressive Stimmung und verliert die Angst davor. Der Tod wird sogar sein „Ratgeber". Manches mutet uns fremd an. Aber das Ergebnis seines Innenweges sind Einstellungen, die uns auch im christlichen Raum vertraut vorkommen nämlich sexuelle Enthaltsamkeit, absoluter Gehorsam gegenüber seinem Meister, bzw. seiner Meisterin und Ablehnung jeglichen materiellen Gewinns. Obwohl er schon einen Namen in der Literatur hatte, lebte er lange Zeit völlig unbekannt als Koch in einer Autobahnraststätte in Mexiko.
Im christlichen Raum sind es die drei Mönchsgelübde Gehorsam, Armut und Keuschheit, die der weltberühmt gewordene Schriftsteller auf seine Weise vollzieht. In seinen Schriften versucht er immer wieder darzulegen, dass er sich diesen Weg nicht selber ausgedacht hat, sondern dass er von höheren Mächten geführt wurde, vor allem dass seine neue Lebenseinstellung nicht von ihm ausgedacht oder willentlich hervorgerufen wurde. (24)
Es lässt sich nicht leugnen: Von der Welt, von der Castaneda berichtet, geht eine Wirkung aus. Damit soll gesagt sein, dass das „Widerfahrnis", von dem die ersten Christen berichten, auch in anderen Kulturen Parallelen hat und nicht von vorneherein als Fantasie und Illusion abgetan werden kann.
Jenseits der Todesangst
Hier sei noch einmal erinnert an das, was über „Erleuchtung" gesagt wurde. Dürckheim zählt sie zu den Gipfelerfahrungen, die in allen Religionen vorkommen. Es wurde schon gesagt, dass ein „Erleuchteter" die Angst vor dem Tod, vor Einsamkeit und Sinnlehre verliert (25) und zu einer Liebe fähig wird, die den Rahmen der bisherigen Beziehungen sprengt. In alten Zen-Unterweisungen heißt es: Einer, der Satori hat, sieht in einer einzigen Mauerblume die Schönheit der ganzen Welt. Für westliche Menschen klingt das unverständlich, höchst paradox. Dahinter darf man eine Erfahrung vermuten, die an Kostbarkeit und Schönheit nicht mehr zu überbieten ist. Das Mauerblümchen ist nur Auslöser für die Erfahrung. Voraussetzung ist allerdings ein Erlebnisfeld des Betrachters jenseits dessen, worin sich der aufgeklärte Mensch bewegt.
Dürckheim berichtet von einem Gespräch mit einem Japaner in seiner Wohnung in Tokio. Dort hing ein Gemälde von Caspar David Friedrich. Sein Besucher war davon so beeindruckt, dass er sofort mit bewegter Stimme die Frage stellte: War dieser Mann nicht „jenseits"? Dürckheim wollte wissen, was er damit meine. Daraufhin erklärte der Gast mit drei weiteren Sätzen noch deutlicher, was er sagen wollte. Wer dieses Bild gemalt hat, war „jenseits" der Todesangst! Er sah den Sinn in jeder Sinnlosigkeit! Er lebte die universale Liebe!
Dürckheim bemerkt dazu, dass diese drei Bedeutungen des Wortes „Jenseits" eine Erfahrung widerspiegeln die sich ungefähr so ausdrücken lässt: Man hat ein Leben entdeckt mit einem neuen Bewusstsein. Es sind nicht nur die Inhalte anders geworden, sondern der Denkrahmen, die Art, die Dinge wahrzunehmen und zu bewerten. Man steht jenseits der Gegensätze, die uns die Logik des alltäglichen Lebens auferlegen. Man ist an einem Punkt jenseits von dem, was bisher kostbar oder wertlos, gut oder schlecht war, selbst jenseits von denen, die einem aufgrund der Abstammung und der Religion nahe oder fern standen. Es ist der Erfahrungshorizont derer, die „jenseits" oder wie Dürckheim sagt, die „durch" sind. Für ihn ist hier eine Realität, noch wirklicher als jede sogenannte wissenschaftliche Erkenntnis.
In den Schriften des Neuen Testaments treffen wir dieses Erfahrungsfeld auf Schritt und Tritt. Es sei noch einmal auf Paulus zurückgegriffen. Im Brief an die Römer drückt er seine Überzeugung auf folgende Weise aus: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgend eine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm 6, 38). Der Apostel sagt mit anderen Worten, was der Japaner und Dürckheim auf ihre Weise zum Ausdruck bringen. Ähnlich wie sie redet er von einem Zustand, in dem er über den Gegensätzen von Leben und Tod, den guten und bösen Schicksalsmächten, über Gegenwart und Zukunft steht. Genau wie die Zenleute spricht auch Paulus von der Liebe. Ähnlich wie bei Franziskus im Sonnengesang ist er an einem Punkt, wo er allen Menschen und allen Wesen nahe ist. Kurz vor dieser Stelle hatte Paulus sich über das Schicksal der Schöpfung geäußert und war intuitiv zu der Einsicht gekommen, dass „auch die Schöpfung von der Sklaverei und Verlorenheit zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit wird" (Röm 8, 21). Ein anderes Zitat über Leben und Tod finden wir im Brief an die Philipper. Paulus schreibt aus dem Gefängnis und weiß nicht, wie sein Prozess ausgehen wird, aber er kann sein Los, wie immer es sein wird, mit Zuversicht annehmen. „Für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn" (Phil 1, 21). Es ist ein Satz, den man ehrlicherweise nicht so leicht aussprechen sollte. Er setzt eine Verfassung voraus, mit der man dem Schlimmsten ins Auge schauen kann. Seitdem Paulus seine Umkehr erfahren hat, sieht er sich in einer Schicksalsgemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus. Das zentrale Wort dafür heißt „in Christus sein" (Röm 8, 1; Kol 3, 11). An dem Punkt, wo die Grenze zwischen Leben und Tod durchlässig wird, verliert sie sich auch zwischen den Menschen. Es wurde gesagt, dass der Zustand der Erleuchtung die universale Liebe mit einschließt. Wenn in jedem einzelnen Christus gegenwärtig ist und immer stärkere Konturen annimmt, dann werden die Unterschiede nach Herkunft, Stand und Geschlecht unbedeutend. „Da gilt nicht mehr Hellene und Jude, nicht Beschneidung und Unbeschnittensein, nicht Barbar, Skythe, Knecht, Freier, sondern alles in allem Christus (Kol 3, 11). Es ist dieselbe Kraft, die in jedem wirkt und deshalb von selbst Nähe, Verstehen und Vertrauen schafft. Anders gesagt: Menschen, welche eine hohe Sensibilität für existentielle Tiefe haben, spüren diese auch bei anderen und es entsteht sehr bald eine Gemeinsamkeit. Die echten Mystiker aus Christentum, Buddhismus und Islam finden im Gespräch der Religionen bald zueinander. Die Erfahrung des gemeinsamen Urgrunds verbindet, die Begrifflichkeiten der Kulturen hingegen trennen. Die Schriften von Zen-Meistern aus dem alten Japan und China, ebenso die der Sufis werden auch von Christen wegen ihres spirituellen Gehalts gerne und mit Gewinn gelesen, weil man darin die gemeinsame spirituelle Mitte entdeckt..
Der Rahmen der Erfahrung
Noch einmal: Wesentlich ist das Erfahrungsfeld, auf dem die Erscheinungen des Auferstandenen zu verstehen sind. Das Sehen des Auferstandenen ist nur auf diesem Hintergrund möglich oder anders gesagt: Wer immer Jesus nach seinem Tod als Lebenden gesehen hat, war eingetaucht in das Erfahrungsfeld, das Paulus „sein in Christus", das Dürckheim „durch sein", das die Zen-Leute „Satori" (Erleuchtung) nennen. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass es keine neutralen, unbeteiligte Beobachter gab, sondern nur solche, denen sich aufgrund der personalen Begegnung ein inneres Auge öffnete. Es ist durchaus dem Geschehen vergleichbar, wenn zwei Menschen ihre Liebe entdecken und ihnen eine neue Welt aufgeht.
Noch größere Entsprechung hat das Ereignis der Erscheinungen des Auferstandenen mit dem Vorgang, wenn ein Erleuchteter in einer Blume die Schönheit der ganzen Welt sieht oder im Murmeln des Baches alle Symphonien der Welt hört. Dies würde dem entsprechen, wenn Jesus in einer Lilie mehr Schönheit sieht, von ihrer Pracht mehr fasziniert ist als von einem orientalischen Märchenschloss, (Mt 6,29).
Zum weiteren Verständnis sei noch eine Begebenheit im Zusammenhang mit dem russischen Starzen und Mystiker Seraphin von Sarow (27) angeführt. Als ihn der Gutsbesitzer und Richter Motowilow, ein tiefgläubiger Mann, einmal in seiner Einsiedelei besuchte und sie in ein Gespräch über den Geist Gottes kamen, versuchte der Gast in das Gesicht des Meisters zu blicken. Er sah darin eine blendende Sonne. Aus seinen Augen fuhren Blitze. Der Einsiedler erklärte ihm, dass er bei ihm dasselbe beobachtet habe. Offensichtlich kann nur ein Erleuchteter den außergewöhnlichen Zustand des anderen wahrnehmen. Übertragen auf die Auferstehungsberichte heiß das: Nur wer selbst „mit Christus auferweckt ist" (Kol 3, 1), was Paulus von sich und seinen Lesern sagt, kann auch den Auferstandenen sehen. Wem Jesus, der Gekreuzigte erschienen ist, wurde gleichzeitig in den neuen Seinszustand verwandelt.
Das innere Auge
Im Mittelpunkt der Überlegungen müsste deshalb das Wahrnehmungsorgan stehen, mit dem wir die Ereignisse um Tod und Auferstehung Jesu betrachten. Der rein historisch-kritischen Sicht wird der Kern dessen, was in den Texten steht, verschlossen bleiben wie den Zeitgenossen von damals auch. Erst wenn sich das schon angesprochene innere Auge auftut, wenn ein existentieller Durchbruch in den Tiefenschichten der Seele geschieht, finden wir Zugang zur Welt des Neuen Testaments. Nicht die historische Gleichzeitigkeit, in der wir nach dem genauen geschichtlichen Verlauf fragen, bringt uns dem Verständnis der Auferstehung näher, sondern die existentielle. Wenn es zum Verständnis der Person Jesu, seiner Lehre und seines Todes auf die genauen historischen Fakten ankäme, wären uns die Zeitgenossen Jesu, sogar die Schriftgelehrten, die Theologen der damaligen Zeit weit voraus. Darauf weist der dänische Philosoph Sören Kirkegaard hin.
Andererseits gibt es in der Geschichte Menschen, welche die Heilige Schrift im historischen Sinn sehr naiv gelesen haben. Aber sie waren sehr kritisch zu sich selbst und haben das Organ der intuitiven Wahrnehmung für die Gestalt Jesu sehr hoch entwickelt. Weil sie in das beschriebene Erfahrungsfeld eintauchten, konnte ihnen der gekreuzigte und auferstandenen Jesus Grund und Sinn ihres Lebens werden und in ihnen eine Kraft ausstrahlen, die bis heute weiterwirkt. Es sei noch einmal auf den heiligen Franziskus verwiesen.
Die Ostererzählungen - ein Widerspruch in sich?
Mathäus 28, 1-9
Auferstehung Jesu. Als der Sabbat vorüber war und der Morgen des ersten Wochentages anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es entstand ein großes Erdbeben; denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Aussehen war wie ein Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee. Aus Furcht vor ihm erbebten die Wächter und waren wie tot.
Der Engel aber wandte sich zu den Frauen und sprach: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferweckt worden, wie er gesagt hat; kommt und seht den Platz, wo er lag! Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, daß er auferweckt ist von den Toten. Seht, er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Seht, ich habe es euch gesagt." Da gingen sie eilends, in Furcht und großer Freude, vom Grabe weg und liefen, um seinen Jüngern die Kunde zu bringen.
Im Vergleich dazu: Markus 16, 1-8; Lukas 24, 1-24; Johannes 20, 1-18.
Die Angaben der Evangelisten über die Ereignisse am ersten Tag der Woche, dem dritten Tag nach dem Tod Jesu, sind bei genauerer Betrachtung recht unterschiedlich. Es lässt sich aus ihnen kein genauer historischer Verlauf rekonstruieren.
Die Forscher gehen sogar so weit zu sagen, die Ostererzählungen der Evangelien sowie die Himmelfahrts- und Pfingstgeschichte seien mit großer Wahrscheinlichkeit spätere erzählende Darstellungen des Glaubens, dass Jesus lebt und dass er als Auferstandener die Kirche stiftete. Wenn aber die Ostererzählungen Schöpfungen des Glaubens und nicht dessen Grundlage sind, worauf soll man dann seine Überzeugung von der Auferstehung Jesu begründen, werden sich viele fragen. Es gibt allerdings Zeugnisse außerhalb der Ostergeschichten, die durchaus ein historisches Fundament haben.
Das älteste finden wir im Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Es lautet: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift und erschien dem Kephas" (1Kor 15, 3-5). Die Schriftausleger nehmen nun an, dass der letzte Satz „er ist dem Kephas erschienen" der Grund sei, auf den sich dann alle anderen Erzählungen aufgebaut hätten. Petrus habe damit, historisch gesehen, die Kirche gegründet. Der Glaube jedoch sieht dies als eine Tat des auferstandenen Jesus (27)
Wenn die Erscheinung vor Petrus zwar die älteste Überlieferung für sich beanspruchen kann, muss das nicht heißen, dass die weiteren Ereignisse, die Paulus anführt, keine Glaubwürdigkeit haben. Der anschließende Text lautet: „er erschien ... dann den Zwölf, danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der Missgeburt" (1 Kor 15, 5-8).Für Paulus sind seine eigene Lebensgeschichte und sein radikaler Einsatz für den neuen Weg unlösbar mit der Auferstehung Christi verbunden. „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und unser Glaube sinnlos" (1 Kor 15, 14). Ebenso wenig ist der Glaube der Christen und das Schicksal der Toten nicht von der Auferstehung Christi zu trennen. Eines ist gewiss: Bei den ersten Christen bestand die feste Überzeugung, dass Jesus lebt. Dies klingt etwas anders als die Feststellung: „sie behaupteten". (28)
Was ist nun von den Ostererzählungen zu halten, wenn sich der Grabbesuch der Frauen, das leere Grab, die Erscheinung des Engels und seine Botschaft historisch nicht belegen lassen? Der Hinweis, es seien Darstellungen des Glaubens, kann die Enttäuschung nicht so leicht aufheben. Man war ja von Kindheit daran gewöhnt, die Texte wörtlich zu nehmen. „Glauben" klingt in den Ohren heutiger Menschen nach einem vagen Fürwahrhalten. Und was soll man zu dem Vorwurf von Gerd Lüdemann sagen, die ersten Christen hätten mit den Berichten von der Auferstehung und vielen unechten Jesusworten einen großen Betrug begangen?
Um den Berichten gerecht zu werden, sollten wir auf den seelischen Erlebnisgrund, aus dem heraus sie entstanden sind, zurückgehen. Es wurde schon gesagt, dass es ein Erfahrungsfeld jenseits der rationalen Wahrnehmung gibt, das höchste Bedeutsamkeit und Gewissheit und damit eine Wahrheit für sich beanspruchen kann. Es reicht bis in die Wurzeln der Existenz; es fordert die ganze Aufmerksamkeit und den vollen Einsatz der Person. Als Beispiel wurde der Bericht von André Frossard angeführt. Man könnte viele andere aus der Mystik, aus Selbsterfahrungskursen sowie Zen-Sitzungen hinzufügen. Damit soll gesagt sein: Hier handelt es sich nicht um ein Phantom, sondern um eine Realität. Auf dieser Ebene sind die sogenannten „Widerfahrnisse" der ersten Christen, d.h. die Erfahrungen mit dem auferstandenen Jesus anzusiedeln. Paulus scheint der beste Zeuge dafür zu sein, dass es dabei um Erschütterungen des gesamten Denk- und Werterahmens geht, um Einsturz des ganzen inneren Universums. Erlebnisse dieser Art gleichen einem Erdbeben und ziehen wie dieses auch längere Nachbeben nach sich. Solange der Untergrund der Seele aufgewühlt ist, bestimmt er ganz und gar bis in die Träume hinein das Denken und Fühlen. Menschen, die eine Katastrophe, einen Überfall oder eine Bombennacht miterleben mussten, haben Jahre, oft ihr ganzes Leben damit zu tun und müssen immer wieder davon reden. Genauso können es beglückende Ereignisse sein, von denen man nicht loskommt. Das Erzählen ist deshalb wohltuend, weil man den Anschluss findet an das, was einen bewegt. Das Erfahrungsfeld, das sich ständig meldet und einen zu vereinnahmen versucht, bekommt einen Namen. Die innere Seelenlandschaft wird nach außen verlagert, die vorhandene Energie in Bilder und dramatische Abläufe gefasst. Auf diese Weise können sich Menschen mit traumatischen Erlebnissen entlasten, andererseits wird die Freude eines Menschen bei aufmerksamen und aufnahmebereiten Zuhörern verstärkt. Je nach Ergriffenheit des Erzählers kommt das eigene Erlebnisfeld und das der anderen in Schwingung.
Übertragen wir dies Überlegungen auf die Entstehung und Abfassung der Ostererzählungen. Wir können sie als Versuch sehen, die beeindruckenden und dramatischen Vorgänge in den Seelen derer, die an den Geschehnissen beim und nach dem Tod Jesu beteiligt waren, in der religiösen Vorstellungswelt der damaligen Zeit zum Ausdruck zu bringen. Umgekehrt gilt: Wir können aus den dargestellten dramatischen Abläufen, aus den hochemotional aufgeladenen Figuren und Personen auf das Erlebnisfeld der ersten Christen schließen. Die Fragestellung der Erzähler lautet nicht: Was ist genau abgelaufen? Sondern: In welche Worte kann ich das fassen, was mich aufgewühlt, berührt, umgeworfen hat?
Die Absicht ist nicht eine genaue Berichterstattung über objektiv beobachtbare Ereignisse zu liefern, sondern dasselbe Erlebnisfeld bei den Zuhörern und Lesern zu wecken und sie zutiefst emotional am Geschehen zu beteiligen. Das heißt für uns: Wir dürfen den Bericht mit seinem Bildgehalt unmittelbar auf uns wirken lassen. Wir spüren damit etwas von dem Erlebnisraum, in dem die ersten Jünger Christus begegnet sind. Wir dürfen uns ohne Vorbehalt und ohne Verstoß gegen die intellektuelle Redlichkeit auf das Oster-Halleluja einstimmen lassen.
Beginnen wir mit den Einzelheiten. Das „gewaltige Erdbeben" (Mt 28) lässt etwas vom Beben des Seelengrundes, d.h. von der gewaltigen Erschütterung der ersten Christen ahnen. Eine kurze Bemerkung in der Apostelgeschichte bestätigt diese Annahme. Es heißt von der Urgemeinde: „Als sie gebetet hatten, bebte der Ort, an dem sie versammelt waren, und alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt" (Apg 4,31). Das Beben der Erde ist wiederum Ausdruck für das Beben des Herzens, das der Geist bewirkt. Man sagt ja auch, etwas mit bebender Stimme erzählen, weil es unfassbar ist.
Im Engel, der vom Himmel steigt, der den übergroßen Stein wegwälzt, dessen Gesicht wie der Blitz und dessen Gewand wie Schnee ist (Mt 28, 2,3) dürfen wir die übermächtige Kraft als Durchbruch zur Transzendenz sehen. Menschen, die mit Mystik Erfahrung haben, empfinden die Anziehung und Wirkung des transzendenten Grundes als einer Größe, die sie überwältigt. Dazu gehört auch, dass die Wächter wie tot zu Boden fallen (Mt.28, 4). Es sind Soldaten der Weltmacht Rom, die vor der Macht des Auferstandenen zu boden stürzt.
„Sein Aussehen war wie der Blitz" (Mt 28,3) steigert noch die Wucht des Erlebnisses. Ein Blitz hat eine Energie, die im ganz wörtlichen Sinn nicht zu fassen ist. Es sei auch an die Begegnung des Gutsbesitzers Motowilow mit dem Starzen Seraphim von Sarow erinnert. Er sah aus den Augen des Alten Blitze hervorsprühen. Hier leuchtet das Erfahrungsfeld der Ostergeschichte auf. Eine Parallele finden wir auch im Epheserbrief, in dem das Wort „Energeia - Energie" zusammen mit noch zwei weiteren Ausdrücken für Kraft und Stärke auftritt. Wörtlich heißt es: „Die Augen eures Herzens seien erleuchtet, dass ihr inne werdet, ... was es um die überragende Größe seiner Macht ist, die sich an uns, die wir glauben, tätig erweist in seiner Kraft und Stärke" (Eph 1, 18,19). Eines dürfte sicher sein: Mystiker, und als solche darf man die ersten Christen bezeichnen, sind Energie geladene, wenn nicht sogar „energische" Menschen. Blitze in den Augen sind Zeichen von Lebendigkeit und Ausstrahlung.
„Sein Gewand war weiß wie Schnee" (Mt 28, 3). Das Weiß, von dem schon gesprochen wurde, ist der Niederschlag einer Erfahrung, die einen in die ganz andere Welt hebt. Hier darf man noch einmal an den Bericht von André Frossard denken. Er kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger, der gerade noch zur rechten Zeit aufgefischt wurde und der erst in diesem Augenblick erkannte, in welchem Schlamm er versunken war. Wäre dem französischen Journalisten die Bilderwelt der Bibel vertraut gewesen, hätte er wahrscheinlich seinen neuen Zustand mit dem schneeweißen Gewand des Engels verglichen.
Der Engel vertritt die höchste Autorität nämlich die Gottes. Im Grunde ist es die überwältigende Überzeugung des Erzählers, die der Engel ausspricht: „Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat" (Mt 28, 5,6).
Die Wirkung der Erscheinung ist Furcht und Freude zugleich. Ein seelisches Erdbeben hinterlässt abwechselnd Angst und Hochstimmung, bis sich das Meer des Unbewussten wieder beruhigt hat. Beim Wort „Freude" dürfen wir an den „Jubel des vom Tod Erretteten", nämlich des französischen Journalisten André Frossard denken, ebenso an den des heiligen Franziskus, der den Namen Jesus wie eine Süßigkeit auf seiner Zunge zergehen lässt, und der „trunken von Liebe und Mitleid mit Christus die süße Melodie seines Herzens nicht zurückhalten kann", ein Holzscheit und einen Stecken nimmt, damit wie mit einer Geige spielt und darin die reine Seligkeit empfindet (29). Die wenigen Sätze und noch mehr der Sonnengesang lassen darauf schießen, dass Franziskus in das Erlebnisfeld der ersten Jünger und in das von Jesus selbst eingetreten ist, und dass er den Mann aus Nazareth wie kaum ein anderer verstanden hat.
Die Auferstehung Jesu erscheint als die unglaublichste Geschichte. Ist sie Erfindung, Behauptung, Täuschung, Mythos oder Wahrheit? Dies zu entscheiden wird einer Wissenschaft, die sich nur auf äußerlich feststellbare Fakten stützt, nicht gelingen. Es setzt nämlich eine Erkenntnisweise voraus, welche ganzheitlich, mit Herz und Verstand und mit dem ganzen Einsatz der Person vorgeht und in der sich der Forscher selbst nicht draußen lassen kann.
Unsere Schwierigkeit im Umgang mit den heiligen Texten kommt mit großer Wahrscheinlichkeit davon, dass uns als westlichen Menschen ein Organ der Wahrnehmung verloren gegangen ist, das den östlichen Kulturen wie selbstverständlich vertraut ist. Es ist der Blick in die Tiefe der Transzendenz und in das eigene Innere zugleich. Um zu verstehen, was Jesus ursprünglich wollte, was mit ihm geschehen und wer er in Wirklichkeit ist, sollte man nicht nur historisch-kritisch, vielmehrnoch selbstkritisch sein, d.h. den Rahmen der eigenen Wahrnehmung überprüfen.
18. Schluss
Die Wahrheit der Mythen
Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Mythen verstanden als historisch wahrnehmbare Tatsachen unhaltbar. Dies erkannt zu haben, ist die große Leistung der Aufklärung, des kritischen, rationalen Denkens.. Jedoch sollte man nicht die Augen davor verschließen, dass die Geschichten und Vorstellungen, die wir gewöhnlich in das Land der Fantasie verweisen, eine Wirklichkeit darstellen, die für das Leben der Seele, d.h. für die Suche nach den entscheidendsten Fragen unerlässlich ist. Ein Beleg dafür ist ihre Wiederkehr in der Esoterik. Man sollte bei aller kritischen Auseinandersetzung nicht übersehen, dass Mythen Bilder sind für ein Geschehen in uns selbst, das noch vor allem menschlichen Denken und Handeln steht. Mythen sagen etwas aus über die Wurzeln unserer Existenz. Die jüngsten Ereignisse in Amerika haben schlagartig darüber „aufgeklärt", wie verwundbar und gefährdet eine rational aufgebaute Welt ist. Die tödliche Bedrohung kommt nicht in erster Linie aus den Silos der Atomraketen sondern aus der Tiefe der menschlichen Seele.
C. G. Jung hat darauf hingewiesen, dass das subjektive Leben des einzelnen Geschichte macht. Vor allem beschäftigt die Frage, ob es eine Macht gibt, die der gefährlichen Kraft Einhalt zu gebieten und welche die verwundete und verunsicherte Seele zu heilen vermag. Dies gilt nicht nur für Muslime sondern gerade für Menschen der westlichen Welt. Beim Versuch, dieses Feld zu erforschen sind allerdings Methoden erforderlich, die nicht von außen, fein sauber und exakt die Details prüfen, sondern es geht um eine Erkenntnisweise, die sich durch Selbsterfahrung und Selbstkritik auszeichnet; es ist die Einsicht, dass die Probleme der Zeit in der eigenen Seele vorhanden sind. Eine wichtige, sogar unerlässliche Hilfe dabei sind die Träume der Nacht, die Bilder und Symbole, die als Schöpfungen der Seele unser Dasein erhellen und als „Mythen" bezeichnet werden Sie verbinden uns mit jenem Raum in uns selbst und in der Seele der Menschheit, in dem die Ängste lauern, wo die Vorsätze zu unfassbaren Schreckenstaten gefasst werden, wo aber auch die Keime zu schöpferischem und erlösendem Handeln bereit liegen. Wir dürfen sogar davon ausgehen, dass im Grund der Seele ein großes Mysterium die Kraft hat, die bösen Mächte in gute zu verwandeln.
Anmerkungen
1. Peter Kelden, „Die Fünf Tibeter" Das alte Geheimnis aus den Hochtälern des Himalaja lässt Sie Berge versetzen, München 2001
2. Esotera, Das Magazin für Neues Denken und Handeln, Nov. 99 Titelseite
3. Vgl. H. Conzelmann, A. Lindemann Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 1998, 522
4. Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, 23.Febr. 2001 / S 26
5. ebenda
6. Rudolf Bultmann in Kerygma und Mythos, hrg. V. Hans Werner Bartsche, Bd I, Hamburg - Bergstedt 1960, S 15-48
7. Esotera, Mai 98 / März 2000
8. C. G. Jung, GW Bd9, S 168
9. ebenda
10. Vgl. C. G. Jung, GW Bd 11, 116
11. Vgl. David Feinstein, Stanley Krippner, Persönliche Mythologie, Die psychologische Entwicklung des Selbst, München 1998
12. Bert Hellinger, Gabriele ten Hövel, Anerkennen was ist, Gespräch über Verstrickung und Lösung, München 1997
13. Charlene Spretnak, Die Grünen, München 1985, 311
14. Gerd Lüdemann, Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat, Lüneburg 1998, 123
15. Carl R. Rogers, Der neue Mensch, Stuttgart 1983
16. Franz von Assisi, Legenden und Laude, Zürich 1968 / 35
17. André Frossard, „Gott existiert, ich bin ihm begegnet", Freiburg 1970
18. ebd. 8,136f
19. Klaus Uwe Peters, Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie, Art. Visionen
20. Frossard, 9
21. Testament des hl. Franziskus in: Legenden und Laude, hg. Von Otto Karrer, Zürich 1986, 547
22. H. Conzelmann u. A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 12. Auflage, Tübingen 1998
23. W. Marxen zit. nach ebenda 524
24. Vgl. Carlos Castaneda, Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens, Frankfurt 1972; ders. Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan, Frankfurt 1978; Graciela Corvalan, Der Weg der Tolteken. Ein Gespräch mit Carlos Castaneda, Frankfurt 1987.
25. Conzelmann, 524
26. Karlfried Graf Dürckheim, Ľ Expérience religieuse au-delà des religions in: „Synthèses" 18°. Jahrg. 210-211, Nov/Dez 1963
27. Vgl. Conzelmann, 521
28. Conzelmann, 524
29. Otto Karrer, Legenden und Laude, 177