Gott ist tot-

außer man entdeckt ihn neu 

 in der eigenen Seele

Gibt es Gott? Streitgespräche darüber enden fast immer ohne Ergebnis. Die Kritiker sagen: Warum soll ich an einen Gott glauben, den man nicht beweisen kann, der im Jenseits thront und die Welt ihrem Schicksal überlässt; der mir das Denken und die Gefühle verbietet, der mir mein gesundes Selbstbewusstsein nimmt?   Die Verteidiger kommen mit ihren Argumenten nicht an und sind ratlos. Am besten Fall einigt man sich auf die Formel: Die Existenz Gottes kann nicht bewiesen werden, seine Nichtexistenz auch nicht.Das Problem bleibt: Er ist nicht anwesend wie Personen wie wir sind und nicht sichtbar wie Gegenstände dieser Welt.                                                     

 Gott ist innen, in dem, was das Ureigenste betrifft

Wo ist Gott, wenn er nicht oben im Himmel ist, auch nicht in den liturgischen Feiern, noch in den heiligen Orten und Gegenständen? Dazu müsste uns ja Jesus, der von Gott Kunde gebracht, hat Auskunft geben können.Als Er  in Kapharnaum zum ersten Mal auftritt und das Reich Gottes verkündet, ist das Echo so:

Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue, machtvoll sich zeigende Lehre! . Sogar

die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.                                                                                                              Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa" (Mk1, 27).   Die Zuhörer erschrecken, sind zutiefst aufgewühlt, bleiben nach dem Gottesdienst stehen und bringen ihre Verwunderung zum Ausdruck. Jesus brachte sie aus der Fassung. "Aus der Fassung geraten", könnte man deshalb als Wort für Gott verwenden.  Es ist die Art, wie er spricht, die Atmosphäre, die er hervorruft. Man hätte ein Blatt fallen hören. Das Wort von Jahwe, dessen Name man im jüdischen Bereich nicht aussprechen darf, trifft sie im Kern ihrer Person. Das, was mit Gott gemeint ist, ist unmittelbar zu spüren. Dies ist der Punkt, wo etwas Neues beginnt.  Einstellungen, Werte, Interessen und Gewohnheiten werden weniger durch Wille und Vernunft verändert als durch ein überzeugendes,  stärkeres und tieferes Erleben, das ergreift, durch ein  Wort, das für einen   bedeutsamer ist. „Nur das Bedeutsame erlösterkannte der Psychiater und Tiefenpsychologe C.G.Jung. Jesus trägt in sich eine existentielle Kraft, die in der Begegnung mit ihm, in seiner Rede, in seinem Blick, in seiner Berührung spürbar wirdMenschen , lassen alles liegen und stehen, um in seiner Nähe zu sein. sie werden anders. Diese Kraft, die aufhorchen lässt, aufwühlt, erschüttert, aufschreien und Gott loben lässt,  ist die Macht  - griechisch exousia-, mit der er lehrt(Mk1,22)- Das heißt das Göttliche an Jesus dürfen wir weniger in den außerordentlichen Taten, in den Wundern sehen, sondern in der Kraft und Tiefe der Ausstrahlung seiner Persönlichkeit.                                                                                                             

Das Organ, Gott wahrzunehmen, kann geweckt werden.                                                                                                             

Wenn Menschen bei der Rede von Gott zutiefst berührt sind, dann heißt das: Gott ist  in der existentiellen Betroffenheit zu finden,  er ist innen,. „Das Reich Gottes ist in euch!"(Lk17,21), sagt Jesus und wehrt damit politische oder kosmische  Erwartungen ab.  Es geht um das innere Organ, Gott wahrzunehmen und die Motivation, sein Leben danach auszurichten. Es ist die Frage: Welche Stelle nimmt Gott in der menschlichen Seele ein oder welche Bedeutung hat die Religion für die menschliche Existenz? Hier ist es hilfreich, einmal Stellungnahmen von einer ganzen anderen Seite als die der kirchlichen Tradition anzuschauen. Carl Gustav Jung, der als Psychologe die menschliche Seele erforschte, hat  ihr eine Beziehungsmöglichkeit, eine Entsprechung zum Wesen Gottes zugeschrieben.  „Wie das Auge der Sonne, so entspricht die Seele Gott".                                                                                                                                                                                                                                             Er spricht vom Archetyp des Gottesbildes, welcher vom Archetyp der Ganzheit nicht zu unterscheiden sei. Ganzheit aber bedeutet Fülle des Lebens und nicht Minderung, Verkümmerung und dauerhafte Einschränkung. Fülle des Lebens ist nach ihm die einzig legitime Begründung der Religion!  So ist der "religiöse Trieb" zugleich das Streben nach Erfüllung und Ganzheit, nach Entfaltung zum größeren Umfang der Persönlichkeit, nach mehr Authentizität und Intensität des Lebens.                                                                                                                                                                                            Das Religiöse ist somit der stärkste Antrieb der menschlichen Seele, welche alle anderen Emotionen einbindet, ohne sie zu unterdrücken. Voraussetzung ist allerdings, dass der Archetyp des Gottesbildes geweckt ist. Jung beruft sich auf die Erfahrung von Patienten um die Lebensmitte, von denen kein einziger nicht vom Problem des Religiösen und der Sinnfindung umgetrieben wurde; ebenso weist er auf die Erfahrung der christlichen und außerchristlichen Mystiker hin und auf seine eigene Lebensgeschichte. Sein Menschenbild richtet sich nicht nach der platten Aufklärung des 19.Jahrhunderts, welche das Religiöse weg zu erklären versucht, sondern nach den Überzeugungen früherer Jahrhunderte und anderer Kulturen, wo Menschen wie selbstverständlich religiös sind  und das Heilige seinen Platz hatte. Die Wirksamkeit des religiösen Archetyps ist allerdings an ein seelisches Erlebnis geknüpft, das man nicht absichtlich hervorbringen  kann. Menschen, die es erfahren haben, sagen, es sei wie ein inneres Erwachen  es habe das Leben neu begonnen, ein neues Denken, ein neues Empfinden. Ganz neue Perspektiven hätten sich aufgetan, zu neuen Interessen und Ziele fühlte man sich hingezogen. Von Franziskus wird berichtet: „Auf einmal blieb er hinter den andern zurück. Er sang nicht mehr, er war in tiefes Sinnen versunken. Denn plötzlich hatte ihn der Herr berührt. Und eine solche Süße erfüllte sein Herz, dass er weder reden noch sich bewegen konnte". ...Dieses Erlebnis konnte er nicht mehr übergehen..Er konnte nicht mehr zurück..Damit begann für ihn  eine neue Ausrichtung seines Lebens. 

Gott: das Symbol für das, was mich unbedingt angeht.

Jungs Aussage über den religiösen Charakter der Seele wird bestätigt vom evangelischen Theologen Paul Tillich, der den Satz geprägt hat: "Gott ist das Symbol für das, was mich unbedingt angeht". (Paul Tillich Ges. Werke,  Bd VIII,S142)  „Glaube ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht."(GW,VIII 66)  „Alles Reden über göttliche Dinge ist sinnlos, wenn es nicht im Zustand letzter Ergriffenheit geschieht."(ebenda 118) Gott ist in der Tiefe des Seins, sagt der  spirituelle Schriftsteller Marcel Légaut. Das heißt Gott ist psychologisch auf der Ebene zu finden, wo wir zuinnerst berührt, betroffen, existentiell engagiert sind.  Es sind die wichtigsten Ereignisse im Leben, wo dieses innere Engagement am stärksten ist. Es ist die Liebe, die Hochzeit, die Geburt eines neuen Menschen, und der Tod. Das heißt das authentisch Religiöse ist nicht auf einem Nebenschauplatz des Lebens, sondern im Zentrum zu finden. Deshalb wird bei diesen Anlässen von den meisten die religiöse Atmosphäre bzw. das Ritual der Kirche gesucht. Aber wie ist es sonst während des Jahres?  Wie kann Gott auch im ganz normalen Leben zum Zug kommen ?

Gott ist nicht beweisbar, aber erfahrbar

Menschen, die Gott erfahren haben, sagen: "Ich bin zutiefst berührt und beglückt, seitdem fühle ich mich frei zum Denken und zu den schönsten Gefühlen". Gott ist nicht beweisbar, aber erfahrbar. Gott ist nicht eine Instanz außerhalb von uns, er ist in der Tiefe unseres Herzens; er ist dort zu finden, wo wir zutiefst betroffen und berührt sind, im schwersten Leid und in der höchsten Freude: in der Liebe, in der Geburt eines Kindes, in beglückenden Erlebnissen und in schmerzenden wie der Verlust eines lieben Menschen. Wir öffnen dann einen Weg zu Gott, wenn wir uns selbst und die Menschen in ihrem Gefühl, in ihrer Not und in ihrem Denken und Streben ernst nehmen, sogar die Einwände der sogenannten Atheisten. Wir entdecken Gott mitten in unserem Leben als die Kraft, die uns erfüllt und verwandelt. Verstehen und Verstanden werden, den Wert der Stille entdecken können Schritte sein, die uns dem großen Unbekannten näher bringen.                                                                                                           Überall dort, wo Menschen in ihrem tiefsten Anliegen, in ihren Ängsten, im Misslingen ihres Lebens, in Einsamkeit und Überforderung ernst genommen und verstanden werden, kommen sie in Kontakt mit ihrer Tiefe, mit ihrem wahren Selbst. Dies kann sein im seelsorglichen oder auch in einem ganz normalen Gespräch mit Freunden und Bekannten. Für viele war  dies -so kann ich aus Erfahrung als Seelsorger seit fünzig   Jahren sprechen- der Beginn eines Prozesses, der sie zu einem beglückenden Glauben führte. Es muss nicht immer das Gespräch sein. Es ist die ganze Art der Verkündigung und des Gottesdienstes, ob sich eine beglückende Tiefe öffnet oder nicht. Entscheidend ist, ob der Verkünder von dem, was er sagt, ergriffen ist. Ergriffensein überträgt sich von selbst und prägt die Atmosphäre. Wenn sie als überzeugend, wohltuend, bergend und beglückend erlebt wird, tun sich Antworten auf die bedrängenden Fragen wie von selbst auf. Die viel beklagte Gleichgültigkeit gegenüber Kirche ist gegenseitig. Wenn Menschen die Erfahrung machen, dass sie mit der ganzen Last ihrer seelischen Not im Raum Kirche vorkommen, fühlen sie sich angeschlossen und zu Hause, wenn nicht,entsteht ein Graben voller Enttäuschung und Bitterkeit. Die Menschen von heute sind religiöser bzw. bereitwilliger, das Religiöse in der existentiellen Betroffenheit zu erfahren, als wir meinen. Es gibt ein Bemühen um existentielle Tiefe, um Authentizität und Sinn, um Lebenserfüllung außerhalb der Kirche. Es seien noch einmal die Suchbewegungen außerhalb des kirchlichen Rahmens erwähnt, die so häufig belächelt, entwertet oder bekämpft werden.   Kontemplation /Meditation, östliche Wege, transpersonale Psychologie sind für viele zum festen Begriff geworden, denen man die Echtheit der Suche und die Tiefe ihrer inzwischen davon geprägten Persönlichkeit nicht absprechen kann.

Ich darf ganz ich selbst sein.                                                                                                                                                                                                                                                                                 Wenn "Gott innen ist", dann hilft alles, was nach innen, das heißt zur Tiefe und Echtheit der Existenz führt, ihn zu finden. Gemeint ist nicht ein größerer Eifer der Frömmigkeit als einer  folgenlosen Innerlichkeit, sondern die Wandlung der Motivation, die Öffnung des inneren Auges für die Wirklichkeit Gottes und für die Not der Menschen, die Überwindung der "Schwerhörigkeit für Gott". Es geht um die Sensibilität für das, was echt und authentisch ist. Authentizität überzeugt. Sie ist der Einklang von Wort und Emotion, von Überzeugung und Ausdruck, die erlebte Tatsache, dass der ganze Mensch dahintersteht. Gott ist dort, wo ich ganz ich selbst bin. Die frohe Botschaft lautet deshalb: Ich darf ganz ich selbst sein!  Wenn ich das bin, kann ich auch anderen Menschen am meisten bedeuten, ihnen nahekommen und ihnen helfen. Die Veränderung, die wir uns wünschen, beginnt nicht mit neuen noch schwereren Anstrengungen. Hilfreicher ist es, sich zu fragen: Was bedrückt mich? Was bereichert mich? Was bringt mich weiter?    Damit ist eingeschlossen, dass man der Angst, der Trauer und dem Schmerz nicht mehr ausweicht, sondern dass man lernt, den Wert guter, entlastender Gespräche zu schätzen, ebenso den der Stille, die für einen wohltuend werden kann. Die erfahrenen Werte ziehen einen in ihre Richtung immer weiter. Daraus wird ein Prozess, der einen von sich aus weiterbringt, (lat.procedere = voranschreiten), ein innerer Weg, ein Wachstum der gesamten Persönlichkeit. Vom heiligen Franziskus heißt es: Die Süße zog ihn weiter und weiter."                                                                                    Gott neu entdecken ist das große Abenteuer unserer Zeit. Das Entscheidende dabei ist: Gott ist innen, in der Tiefe der eigenen Existenz, in der existentiellen Betroffenheit. Wir können Gott nicht beweisen aber das Organ für Gott wecken. Gott ist nicht Ergebnis der Argumente, sondern eines Weges in die Tiefe zur Echtheit des eigenen Wesens. Es zeigt sich dann ein neues Gottesbild: nicht mehr das am Rande, sondern in der Mitte der Existenz. Nicht mehr eines, das unser Leben einengt, sondern eines, das unserem Dasein volle Entfaltung, Blüte, Wachstum und Reife bringt.Gott ist dort, wo ich aufblühen dar.f                                 [1] C.G.Jung,GW Bd 11,90)Array