Gemeinsam Kirche sein: Perspektivenwechsel !

1.Taufe: Erfahrung oder Verpflichtung?

Jeder Christ ist aufgrund von Taufe und Firmung berufen, das Heilige in seinem eigenen Leben immer weiter zu entfalten und eben dadurch Welt und Kirche im Geiste Jesu Christi mitzugestalten."

Nehmen wir den Perspektivenwechsel ernst, heißt das, dass wir nicht von der verkündeten Lehre und deren Forderungen ausgehen, sondern von der Situation und Sicht des einzelnen, was der einzelne wahrnimmt, empfindet, denkt und fühlt, zusammen mit seiner Lebensgeschichte und seinen Möglichkeiten. Eingeschlossen sind damit die im Schreiben der Bischöfe betonten Charismen. Das heißt aber nichts anderes als dass die Initiative des einzelnen geweckt werden soll. Soll sie echt sein, kann sie nicht auf Aufforderung von oben im Gehorsam erbracht werden, sondern muss aus innerstem Antrieb und eigener Überzeugung geschehen. So war es bei den großen Heiligen. Nur wenn eigene Erfahrung dahintersteht, hat ein Wort, ein Aufruf, eine Aktion die Kraft zu überzeugen und Neues zu gestalten. Das heißt konkret: Wie kommt der zitierte Satz aus der bischöflichen Verlautbarung beim ganz gewöhnlichen Kirchenbesucher an? Er hat ihn zu oft schon gehört. Nimmt er bei diesem Satz eher Unsicherheit und Druck wahr als ein volles Ja, das ihn zu einem überzeugten Handeln oder Änderung seines Lebens bewegen würde? Deshalb gilt es, jeden Begriff genauer aufzuschlüsseln.

Berufen" - umgeworfen! Paulus bezeichnet sich am Beginn des Briefes an die Römer als „berufener Apostel" (Rö,1,1).. Dahinter steht sein Bekehrungserlebnis, das in der Apostelgeschichte dreimal geschildert wird. Es war eine Erfahrung, die ihn umgeworfen hat, von der er sagt, dass alles Bisherige im Hinblick auf die Begegnung mit Christus Mist sei (Phil 3,8). Auf dieser Grundlage konnte er den Auftrag ausführen. den er unmittelbar von Christus empfangen hat. Seine Taufe war die Besiegelung dieses Umkehrprozesses. Nun kann der gewöhnliche Christ nicht auf ein solches Erlebnis zurückblicken, ja nicht einmal auf die Taufe, an die er sich nicht erinnern kann und für die er sich nicht frei entschieden hat. Ganz anders war es bei den Christen der ersten Jahrhunderte, die als Erwachsene nach einem Wandlungsprozess die Taufe empfingen. Das Ergebnis dieses Vorgangs wird beschrieben als „ von neuem geboren aus Wasser und Geist(Joh3,3) „neue Schöpfung"(2Kor5,17), gerettet durch das Bad der Wiedergeburt( Tit3,5). Damit war der Rahmen des Denkens, Fühlen und Handelns und Handelns verändert. Genau dieser Vorgang lieferte die entscheidende Motivation für ein neues Leben im Sinne des Evangeliums und für den Einsatz in der Kirche. Die Schwierigkeit bei der Praxis der Kindertaufe besteht darin, dass sich die Theologie auf diese Aussagen beruft und entsprechende Forderungen stellt, der Erlebnisprozess jedoch nicht stattgefunden hat. Er steht immer noch aus. Deshalb stößt die Motivierung über die Taufe ins Leere. Zu beachten ist, dass die Taufe im Bekehrungsprozess der großen Heiligen weder bei Franziskus noch bei Ignatius erwähnt wird. Bei Franziskus sind es Träume und Erfahrungen der unmittelbaren Nähe Gottes, die seine Pläne, Interessen und Motive umkehren. Ignatius lässt Szenen aus dem Leben der Heiligen und Jesu auf sich wirken, welche sein Inneres ganz und gar verändern. Auch in seinen Exerzitien kommt das Motiv der Taufe nicht vor. Man könnte aber sagen, dass der angestrebte Bekehrungsprozess dem Taufprozess der frühen Kirche entspricht. Aufschlussreich ist die Rolle der Taufe bei Augustinus. Sein Weg der Umkehr, den er ausführlich in seinen „Bekenntnissen" schildert, läuft auf die Taufe zu. Das Sakrament ist Höhepunkt und Ergebnis dieses Prozesses und nicht Voraussetzung und motivierendes Erlebnis. Das spirituelle Niveau unserer Kirchenmitglieder entspricht nicht dem der frühen Christen, weil bei den meinten eine bewusste Entscheidung in einem vorausgehenden Prozess fehlt. Selbst eine gelungene religiöse Erziehung ist nicht das, was sich ein Mensch durch Not, Zweifel, und Schmerzen hindurch errungen hat. bzw. ihm geschenkt wurde. Die Jünger des Evangeliums kamen nicht auf Grund der Erziehung sondern durch unmittelbare Begegnung zum Glauben an Jesus. Hier seien noch anerkannte Stimmen unserer Zeit angeführt, welche den Perspektivenwechsel von der reinen Lehre zum unmittelbaren Leben verlangen. Der Satz von Karl Rahner : „Der Christ der Zukunft wird einer sein, der erfahren hat, oder er wird nicht sein" gehört zum Standard eines Vortrags über Spiritualität. Er scheint allerdings nicht dem Maße umgesetzt zu werden als er zitiert wird. Ein äußerst glaubwürdiger Mann für eine neue Richtung im Glaubensverständnis ist Tomas Halek. Er wurde Priester für die Untergrundkirche in Tschechien, hat die Wende bewusst miterlebt und mitgestaltet, war naher Mitarbeiter von Kardinal Tomasek und Vaclav Havel, dann Professor in Prag. Er trägt den Ehrentitel „päpstlicher Prälat" und sieht mit klarem Blick die Ursache für den Bedeutungsverlust der Kirche darin, dass Lehre und Amt überbetont werden und die Erfahrung des einzelnen nicht zählt. Für ihn ist wichtig zu betonen, dass der Glaube, den Jesus meint, nicht die Übernahme eines festen Systems ist, sondern ein Lebensprozess, der mit Unsicherheiten, Zweifeln, Scheitern genauso zu tun hat, wie mit innerer Gewissheit und Freude.1 Eugen Biser, ehemals Inhaber des Guardini-Lehrstuhls in München, sagt zur Entfremdung der Kirche vom modernen Menschen: „Was den heutigen Menschen am Glauben irre macht, ist tatsächlich schon längst nicht mehr die Frage nach der Urzeugung oder der Tierabstammung des Menschen, sondern die Unfähigkeit der Kirche, auf seine Sorgen verstehend einzugehen, seinem vielfach frustrierten Glücksverlangen entgegen zu kommen und ihm in seiner Überforderung, Vereinsamung und Lebensangst einen Raum des Aufatmens , der Solidarität und der Geborgenheit zu bieten".2 Insofern als es gelingt, diese Aufgabe zu erfüllen ist kirchliche Seelsorge auch bei nichtkirchlich gebundenen Personen gefragt.

    2. Perspektivenwechsel der Umkehr

„Perspektivenwechsel" darf man als das moderne Wort für Umkehr und Buße betrachten. Im Evangelium steht dafür Metanoia, was wörtlich „umdenken" heißt. Den Wechsel des Standpunktes darf man auf den Inhalt und das Verständnis von Umkehr und Buße selbst anwenden. Die geläufige Auffassung legt den Schwerpunkt auf das Tun, auf willentliche Anstrengung, was meist ohne durchschlagende Wirkung bleibt. Im Evangelium und bei den Heiligen vollzieht sich Umkehr wesentlich auf der Ebene des Erlebens, des Betroffen seins, der Widerfahrnis und der personalen Begegnung Der erste Schritt ist deshalb nicht der Vorsatz: „Du musst von heute auf morgen dein Leben ändern, du musst dir das schönste und angenehmste Gefühl ausreißen, du musst deine Überzeugung verleugnen", sondern der erste Schritt lautet: Schau deinem Leben voll und ganz ins Auge, dem Angenehmen und dem Bitteren! Stell dich deinem Problem! Lass einmal auf dich wirken, was da ist! Lass es zu, was in dir in Bewegung kommt! Das Geschick des verlorenen Sohnes (Lk 15, 11-30) erhält dann ihre entscheidende Wende, als dieser anfängt, sein Schicksal zu überdenken, als er die Überlegung auf sich wirken lässt: Die Tagelöhner meines Vaters haben genug und ich sitze hier bei den Schweinen! Etwas fängt an, sich in ihm zu bewegen. Er ist nicht mehr der, welcher selbstsicher jeden Rat und jede Erfahrung anderer in den Wind schlägt, der über alles Bescheid weiß, der seine Pläne hat, der nichts bereut. Vielmehr lässt er, vom Leben gezwungen, die neuen, ungewohnten Aspekte seiner Situation zu und mit ihnen auch die Affekte, die sein Denken und sein Verhalten ändern. In diesem Sinn hat die alte Dogmatik durchaus Recht, dass Reue nicht nur guter Wille, sondern ein Schmerz ist, der den Menschen aufwühlt und sich im Tun auswirkt. Umkehr bedeutet damit als erstes, neue, oft sehr bittere Einsichten zuzulassen und damit in ein tieferes Gefühl einzutauchen. Gerade dieses treibt zu einem neuen Handeln.

 

    3. Heiligkeit: den Sonnengesang singen wie der heilige Franziskus

Ein weiteres sehr ungewohntes Wort im bischöflichen Schreiben ist die Aufforderung zur Heiligkeit. Darüber wird nicht einmal in den Orden gesprochen. Inzwischen wurde das Thema außerhalb des kirchlichen Bereichs in den neuen spirituellen Bewegungen unter dem Begriff der Erleuchtung neu entdeckt. Sie wird als Ziel des inneren Weges mit den entsprechenden Übungen angestrebt. Professor Karlfried Dürckheim , Psychotherapeut und Zen-Lehrer spricht von der Großen Erfahrung und vom Zustand des „durch- seins". Damit ist die volle Durchlässigkeit für Transzendenz gemeint, indem der Erleuchtete seine Motivation ganz aus der Erfahrung der Transzendenz schöpft. Das bedeutet frei sein von der Angst vor Sinnlosigkeit, vor Vereinsamung und vor dem Tod. Bei genauerem Hinschauen finden wir diese Kennzeichen im Sonnengesang des heiligen Franziskus. Aus dem Text können wir auf den Verfasser schließen. Er war Gott, den Menschen und allen Geschöpfen nahe. Deshalb war er erfüllt von Dankbarkeit und Freude und hatte die Angst vor den Menschen und vor dem Tod verloren, sodass er sie als Brüder und Schwestern spürte. Heilig sein heißt demnach auf eine einfache Formel gebracht: Den Sonnengesang mit der Freude und Überzeugung singen können, mit der ihn der Heilige verfasst hat. Allerdings kann man sich die Fähigkeit dazu nicht dadurch aneignen, dass man ihn mit Eifer nachzuahmen oder seine Regel zu befolgen versucht. Vielmehr muss jeder wie der große Heilige seinen ganz eigenen Weg finden. Es geht nicht um Imitation sondern um Inspiration. Der überwältigende Funke, der zünden soll, liegt in jedem selbst in der Tiefe seines Wesens verborgen. Streben nach Heiligkeit heißt nicht, sich noch schwerere Lasten aufladen, noch gewissenhafter bzw .ängstlicher Gebote und Vorschriften befolgen, sondern sich dem Wirken der Gnade öffnen, indem man die Frage zulässt: Was berührt mich? Was bewegt mich, was ergreift mich am Tiefsten? Was macht mich froh? Was bereichert mich? Grundlegende Veränderung und Besserung geschehen nur durch Erfahrungen, die für die Existenz bedeutsamer sind als die bisherigen Gefühle und Interessen. Nach Paul Tillich ist „Gott das Symbol, das mich unbedingt angeht". Die Spur Gottes und damit auch die der Heiligkeit liegt in der existentiellen Betroffenheit und damit in der Tiefe des Seins. Es geht um wirksame Zugänge zum inneren Menschen, zu den Motivationen, welche Entscheidungen herbeiführen.

Wer ergreift?

Betroffen sein heißt, dass das Ich mit seinen Aktivitäten still gelegt wird. Die Frage ist dann; Wer handelt jetzt? Wer macht betroffen, wer ergreift?

C.G. Jung spricht von einer inneren Instanz, welche er den Archetyp des Gottesbildes nennt. Er fällt mit dem Archetyp der Ganzheit zusammen, dem stärksten aller Antriebe. Ein anderer Name dafür ist das Selbst, das er als das „Gefäß der göttlichen Gnade" bezeichnet. Mit dem Vorhandensein des Gottesbildes (Vgl.Gen1, 27) ist eine Anlage gegeben, die den Menschen auf die Suche nach Gott treibt. Dazu ist die Bekehrungsgeschichte des Augustinus aufschlussreich.

Für Jung ist zugleich das Wort von Paulus„ Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir"(Gal2,20) maßgebend. Er lenkt damit den Blick auf das große Geheimnis, das sich in der Person Jesu geöffnet hat und sich für uns erst wieder öffnen soll. Darin dürfen wir den Inhalt eines echten Chrismas sehen, welche zugleich die umfassendste, stärkste und erfüllendte Eigeninitiative darstellt.

Umkehr heißt dann, dass nicht mehr unser vordergründiges Ich unser Denken und Handeln bestimmt, sondern die angesprochene innerste Instanz, in welcher sich die bedingungslose Zuwendung Gottes verwirklicht. Dies ist verbunden mit einem Wachstum- und Reifungsprozess zu einer menschlichen Größe, wie wir sie bei den Heiligen bewundern.

 

1 Vgl.Tomas Halik, Nachtgedanken eines Beichtvaters, Freiburg,189

2 Eugen Biser ,Glaubensverständnis. Grundriss einer hermeneutischen Fundamentaltheologie, Augsburg 1976, 132